Einleitung.
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gehoben, aber nicht ganz ausgestreckt, sodaß sie den Kreis nicht
berühren. Gerade daß kein Bundahisn-Vitruv-Männchen gegeben
ist, ist im Verein damit, daß der Kopf etwas geneigt scheint, aus-
drucksvoll. Wir erhalten den Eindruck, dieser Mann, der von so
vielen Strahlen getroffen wird, habe nicht die Kraft, die Arme
ganz zu heben. Welcher Gegensatz zu dem italienischen Bild: dort
das Menschlein unbekümmert im Zentrum des Alls in einer in sich
ruhenden abgeschlossenen Welt; hier ein Mann, wie ein leidender
mittelalterlicher Heiliger, auf ein Marterbrett gespannt, von den
Strahlen der zwölf Gestirne wie von Pfeilen getroffen, die Wirkung
des Makrokosmos auf die kleine Welt erduldend. Die Sichtbarkeit
des Körpers als eines Ganzen ist hier aufgehoben. Der Körper ist
in eine Beihe von Einzelstücken zerlegt, von denen jedes einem
anderen Stern und dessen zugeordneten Planeten untertan ist.
Wir sehen in dieser Zeichnung Haupt- und Nebenstrahlen.
Die Hauptstrahlen gehen von den Tierkreiszeichen nach den Körper-
teilen des Menschen. Die Nebenstrahlen verbinden je ein Tierkreis-
zeichen mit drei Planeten. Welche Bedeutung diese Systematik
hat, ergibt sich aus der Überschrift: Item Nota quod vnumquod-
libet signum durat duos dies et 12 höre et semper habet vnum
signum 3 facies planetarum et semper vna facies durat 20 höre.
Die drei Planeten sind also die jeweiligen facies eines Tierkreis-
zeichens und sie sind angegeben, um die Qualität der Wirkungen
jedes Drittels eines Tierkreiszeichens zu kennzeichnen.
Das weist uns darauf hin, daß dieses Bild ganz anderen Zwecken
zu dienen hat als die früher betrachteten. Waren jene nur bildlicher
Ausdruck allgemeiner kosmologischer Theorien, so ist diese Dar-
stellung bildliches Hilfsmittel kosmologischer Praktik, der Praktik
der Astrologie. Über das Schicksal der in den drei facies der Tier-
kreiszeichen Geborenen in den 12 Häusern des Horoskopes handelt
ein Kapitel unserer Handschrift.
Y. Astrologische Genrebilder des späten Mittelalters. — Oer Salone
in Padua.
Die vierte Gruppe unserer Handschriften, also jene, die Illu-
strationen enthält, die nicht aus dem Typenschatz der astrolo-
gischen Bilder der Spätantike schöpfen, besteht naturgemäß nur
aus spätmittelalterlichen Handschriften. Das wichtigste Werk sind
die Miniaturen zu der Astrologie des Guido Bonatti, eines Zeit-
genossen des Michael Scotus, im Cod. 2359 — demselben, der das
Sitzungsberichte cl. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1925/26. 2. Abli.
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gehoben, aber nicht ganz ausgestreckt, sodaß sie den Kreis nicht
berühren. Gerade daß kein Bundahisn-Vitruv-Männchen gegeben
ist, ist im Verein damit, daß der Kopf etwas geneigt scheint, aus-
drucksvoll. Wir erhalten den Eindruck, dieser Mann, der von so
vielen Strahlen getroffen wird, habe nicht die Kraft, die Arme
ganz zu heben. Welcher Gegensatz zu dem italienischen Bild: dort
das Menschlein unbekümmert im Zentrum des Alls in einer in sich
ruhenden abgeschlossenen Welt; hier ein Mann, wie ein leidender
mittelalterlicher Heiliger, auf ein Marterbrett gespannt, von den
Strahlen der zwölf Gestirne wie von Pfeilen getroffen, die Wirkung
des Makrokosmos auf die kleine Welt erduldend. Die Sichtbarkeit
des Körpers als eines Ganzen ist hier aufgehoben. Der Körper ist
in eine Beihe von Einzelstücken zerlegt, von denen jedes einem
anderen Stern und dessen zugeordneten Planeten untertan ist.
Wir sehen in dieser Zeichnung Haupt- und Nebenstrahlen.
Die Hauptstrahlen gehen von den Tierkreiszeichen nach den Körper-
teilen des Menschen. Die Nebenstrahlen verbinden je ein Tierkreis-
zeichen mit drei Planeten. Welche Bedeutung diese Systematik
hat, ergibt sich aus der Überschrift: Item Nota quod vnumquod-
libet signum durat duos dies et 12 höre et semper habet vnum
signum 3 facies planetarum et semper vna facies durat 20 höre.
Die drei Planeten sind also die jeweiligen facies eines Tierkreis-
zeichens und sie sind angegeben, um die Qualität der Wirkungen
jedes Drittels eines Tierkreiszeichens zu kennzeichnen.
Das weist uns darauf hin, daß dieses Bild ganz anderen Zwecken
zu dienen hat als die früher betrachteten. Waren jene nur bildlicher
Ausdruck allgemeiner kosmologischer Theorien, so ist diese Dar-
stellung bildliches Hilfsmittel kosmologischer Praktik, der Praktik
der Astrologie. Über das Schicksal der in den drei facies der Tier-
kreiszeichen Geborenen in den 12 Häusern des Horoskopes handelt
ein Kapitel unserer Handschrift.
Y. Astrologische Genrebilder des späten Mittelalters. — Oer Salone
in Padua.
Die vierte Gruppe unserer Handschriften, also jene, die Illu-
strationen enthält, die nicht aus dem Typenschatz der astrolo-
gischen Bilder der Spätantike schöpfen, besteht naturgemäß nur
aus spätmittelalterlichen Handschriften. Das wichtigste Werk sind
die Miniaturen zu der Astrologie des Guido Bonatti, eines Zeit-
genossen des Michael Scotus, im Cod. 2359 — demselben, der das
Sitzungsberichte cl. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1925/26. 2. Abli.
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