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Heinrich Mitteis:
mögens als Mittel des indirekten Zwanges im Fadungsungehorsams-
verfahren dienen, indem durch einjährige Vorenthaltung des Be-
sitzes der Säumige zur Auslösung aus der Verstrickung und zu der
damit zwangsläufig verbundenen Streiteinlassung gezwungen wer-
den sollte; weiter aber ist in ihr schon ein Mittel der Gläubiger-
befriedigung gefunden, indem der königliche Fiskus im Gegensatz
zu der ihm in L. Sah 56 a. E. verliehenen Verfügungsmacht gehalten
wird, einem nunmehr anerkannten Befriedigungsanspruch der
prozeßtreuen Partei Rechnung zu tragen. Das Verfahren wird also
in zwei Akte zerlegt, eine provisorische Besitzentziehung und einen
von ihr durch eine Frist von Jahr und Tag getrennten Befriedigungs-
akt. Nur noch soweit Liberschüsse über den Forderungsbetrag vor-
handen sind, bleibt der alte poenale Gedanke des Verfalls an den
Fiskus maßgebend. Modern gesprochen überwiegen in diesem
Verfahren die zivilprozessualen über die strafprozes-
sualen Zweckmomente1. Nun sind die wichtigsten Gegenstände
der Fronung die Grundstücke des Säumigen; die Gewere an den
Grundstücken auf den Gläubiger zu übertragen ist der primäre Zweck
des ganzen Verfahrens. Es ist also festzustellen, daß sich imFiegen-
schaftsprozeß zuerst das Kontumazialverfahren aus dem Bann-
kreis der strafrechtlichen Gedankenwelt losgelöst hat,
während es im Schuldprozeß noch jahrhundertelang darin verlagert
blieb. Das bedeutet für die Folgezeit, daß die Hauptimpulse für
eine weitere Ausgestaltung dieses Fronungsverfahrens in allen den
Rechtskreisen -—• das Wort hier nicht im regionalen, sondern im
funktionellen Sinne genommen — liegen mußten, wo der Immobiliar-
prozeß in den beherrschenden Mittelpunkt der Prozeßrechts-
geschichte gerückt wurde; dort überall ist die Fronung in ihrer
charakteristischen „gestreckten“ Form sofort wiederzuerkennen,
wie ein charakteristisches musikalisches Motiv sich immer wieder
durchsetzt. Sie spielt vor allem eine Hauptrolle im Fehnsprozeß
und tritt in allen Kodifikationen des Fehnrechts auf, in den Fibri
Feudorum2 wie im sächsischen Fehnrecht3, in den Assisen von Jeru-
salem4 wie überhaupt in dem lehnrechtlich orientierten Prozeß
1 Ähnlich neuestens J. Gold Schmidt, Der Prozeß alsRechtslage(1925),S.97.
2 2 P 22 de milite vasallo, qui contumax est. Vgl. Karl Lehmann, Das
langobardische Lehnrecht, S. 138. Dort auch die Rückverweisung auf die Lex
„Cujuscumque“.
3 Ssp. Lehnr. 43, § 1.
4 Assises de la Haute Cour de Jerusalem c. 30 (ed. Beugnot, p. 54ss.).
Heinrich Mitteis:
mögens als Mittel des indirekten Zwanges im Fadungsungehorsams-
verfahren dienen, indem durch einjährige Vorenthaltung des Be-
sitzes der Säumige zur Auslösung aus der Verstrickung und zu der
damit zwangsläufig verbundenen Streiteinlassung gezwungen wer-
den sollte; weiter aber ist in ihr schon ein Mittel der Gläubiger-
befriedigung gefunden, indem der königliche Fiskus im Gegensatz
zu der ihm in L. Sah 56 a. E. verliehenen Verfügungsmacht gehalten
wird, einem nunmehr anerkannten Befriedigungsanspruch der
prozeßtreuen Partei Rechnung zu tragen. Das Verfahren wird also
in zwei Akte zerlegt, eine provisorische Besitzentziehung und einen
von ihr durch eine Frist von Jahr und Tag getrennten Befriedigungs-
akt. Nur noch soweit Liberschüsse über den Forderungsbetrag vor-
handen sind, bleibt der alte poenale Gedanke des Verfalls an den
Fiskus maßgebend. Modern gesprochen überwiegen in diesem
Verfahren die zivilprozessualen über die strafprozes-
sualen Zweckmomente1. Nun sind die wichtigsten Gegenstände
der Fronung die Grundstücke des Säumigen; die Gewere an den
Grundstücken auf den Gläubiger zu übertragen ist der primäre Zweck
des ganzen Verfahrens. Es ist also festzustellen, daß sich imFiegen-
schaftsprozeß zuerst das Kontumazialverfahren aus dem Bann-
kreis der strafrechtlichen Gedankenwelt losgelöst hat,
während es im Schuldprozeß noch jahrhundertelang darin verlagert
blieb. Das bedeutet für die Folgezeit, daß die Hauptimpulse für
eine weitere Ausgestaltung dieses Fronungsverfahrens in allen den
Rechtskreisen -—• das Wort hier nicht im regionalen, sondern im
funktionellen Sinne genommen — liegen mußten, wo der Immobiliar-
prozeß in den beherrschenden Mittelpunkt der Prozeßrechts-
geschichte gerückt wurde; dort überall ist die Fronung in ihrer
charakteristischen „gestreckten“ Form sofort wiederzuerkennen,
wie ein charakteristisches musikalisches Motiv sich immer wieder
durchsetzt. Sie spielt vor allem eine Hauptrolle im Fehnsprozeß
und tritt in allen Kodifikationen des Fehnrechts auf, in den Fibri
Feudorum2 wie im sächsischen Fehnrecht3, in den Assisen von Jeru-
salem4 wie überhaupt in dem lehnrechtlich orientierten Prozeß
1 Ähnlich neuestens J. Gold Schmidt, Der Prozeß alsRechtslage(1925),S.97.
2 2 P 22 de milite vasallo, qui contumax est. Vgl. Karl Lehmann, Das
langobardische Lehnrecht, S. 138. Dort auch die Rückverweisung auf die Lex
„Cujuscumque“.
3 Ssp. Lehnr. 43, § 1.
4 Assises de la Haute Cour de Jerusalem c. 30 (ed. Beugnot, p. 54ss.).