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Mitteis, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 3. Abhandlung): Politische Prozesse des früheren Mittelalters in Deutschland und Frankreich — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38925#0035
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Politische Prozesse.

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angesehen worden sei. Dürfen wir Lampert hier Glauben schenken,
so würde das für eine ähnliche Ausweitung des Begriffs der hand-
haften Tat sprechen, wie sie Hirsch in anderem Zusammenhang
erörtert hat; neben Diebstahl, Totschlag, Notzucht würde das
Majestätsverbrechen als ein weiterer Fall treten, in dem der Flüch-
tige schon in verhältnismäßig früher Zeit als handhaft behandelt
werden konnte. Aber auch wenn wir diesen Einzelzug beiseite
lassen, so entspricht das Verfahren doch durchaus dem volksrecht-
lichen Schema1, wie wir es oben in Sätzen des Sachsenspiegels
gefunden haben. Das Urteil ist ein Todesurteil wegen des inkrimi-
nierten Verbrechens selbst, kein bloßer Achtspruch; die Voll-
streckung erscheint als durch die Ergreifung bedingt. Das Herzog-
tum des Verurteilten verfiel ipso iure durch den Spruch an den
König und wurde auch nach persönlicher Begnadigung nicht
restituiert. Übrigens darf nicht daran vorbeigegangen werden, daß
gerade gegen dieses Verfahren sich später eine lebhafte Opposition
erhob; Lampert —- hier wie immer indessen mit Vorsicht zu
benützen — bezeichnet es als sine legittima discussione2. Das
stimmt zu der prozeßrechtsgeschichtlichen Beobachtung, daß das
rein durchgeführte Kontumazialverfahren wegen der Konsequenz
des ihm innewohnenden Leitgedankens sich immer wieder diskredi-
1 Eine sehr eigentümliche Stelle möchte ich nicht unerwähnt lassen: In
der TuRMAiRSchen Kompilation der Altaicher Annalen (Joh. Aventini Anna-
lium Boiorum libri VII ed. Cisner, Basel 1580, p. 443 = Joh. Turmairs
sämtliche Werke, hrsg. von Riezler III, S. 104) findet sich der Satz: Caesar
. . . subito frequenti senatu a scriba legem Saliam, qua capitale est in principem
coniurare, recitare iubet .... Die Stelle zitiert auch Franklin, Reichshof-
gericht I, S. 33, N. 1; vgl. Giesebreciit, Ann. Alt., 1841, S. 115. Welche
Quelle Turmair hier ausgeschrieben hat, wissen wir nicht, aber es ist nicht
ausgeschlossen, daß es eine gute war. Daß Aventins Quellen gerade für die
Geschichte Ottos v. Northeim zu verwenden seien, scheint auch aus Stein-
dorffs Aventin-Studien (Jahrb. d. dtsch. Gesch. unter Heinrich III., II,
S. 445) zu folgen. Vgl. Riezler, a. a. O., IV, S. 579 („verlorene Quelle“).
Über das Versteckspiel der Humanisten mit den Quellen und die Quellen-
benützung Aventins insbes. neuestens Harold Steinacker, MJOeG. 41
(OTTENTHAL-Festschr.), 1926, S. 165ff. Dann hätten wir hier eine recht späte
Erwähnung des tatsächlichen Gebrauchs der Lex Salica und ein Indiz dafür,
daß nicht immer für die materielle Beurteilung der Tat das Stammesrecht des
Täters ausschließlich herangezogen wurde.
2 A. a. 0. p. 137, 140. Übrigens heißt sine legittima discussione wohl
nicht „ohne gesetzmäßiges Verfahren“ (Franklin, Niese), sondern „ohne
rechtliches Gehör“ sc. des Angeklagten, wie sich aus einer späteren Stelle
(p. 211) erschließen läßt.

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