Studien zur Spätscholastik. III.
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gewöhnlich nur eine — herauszufischen: nur das Allerwichtigste aus
der Dogmatik soll dem hörenden bzw. lesenden Schüler in möglichst
handlich-knapper Form vorgesetzt werden1. Es handelt sich um
ein Schulbuch, einen Abriß, und die klare Übersichtlichkeit, die
gewollte Knappheit auch der sprachlichen Form — fast in jedem
Satze spürbar — ist wohl der einzige Vorzug, den man diesem Spät-
werk nachrühmen kann. Aber mit einer unendlichen Masse ge-
lehrten Ballastes ist zugleich auch der Geist ausgetrieben. Die Ver-
wirrung des jugendlichen Hörers durch die Häufung kontroverser
Meinungen und Autoritäten ist glücklich vermieden. Dafür reicht
aber auch die Gelehrsamkeit des Verfassers kaum noch bis in jene
Tiefe, wo die großen, prinzipiellen Auseinandersetzungen anheben.
Es ist — im ganzen —- mehr auf eine Darlegung des unbestrittenen
Gemeingutes aller Schulen, als auf eine ernsthafte Erörterung und
Lösung viel umkämpfter Probleme abgesehen. Wo solche Fragen
dennoch zur Sprache kommen, da führt dieses Bestreben leicht zu
trivialen, ausweichenden Antworten.
Es ist deshalb nicht leicht, aus dem eintönigen Grau des Schul-
buchs eine bestimmte Parteifarbe des Autors herauszufinden. Zwar
fehlt es nicht ganz an Kennzeichen; im ganzen aber bildet die
Schrift einen neuen Beleg für die Verwaschenheit der Schulgegen-
sätze in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, für die geringe prin-
zipielle Bedeutung des eben damals angefachten Streites zwischen
via moderna und via antiqua. Alle großen Namen der Hoch-
scholastik werden als Autoritäten nebeneinander angerufen: Thomas
(am meisten zitiert), Alexander, Bonaventura und Scotus, aber
auch Spätere, wie Egidius Romanus, Thomas von Straßburg u. a. m.2.
Was uns am meisten interessiert, ist die Stellungnahme Wesels zu
den Fragen, die er später ketzerisch beantwortet hat. Und wenn
auch leider das Wichtigste, die Sakramentenlehre, fehlt, so bieten
sich immerhin einige andere Punkte zur Vergleichung dar.
1 Im ersten Buch wird zunächst der wesentliche Inhalt jeder „Di-
stinktion“ des Lombarden kurz erläutert, und zwar ganz elementar, alsdann
zum Abschluß je eine quaestio angefügt. Deren Schematik ist sehr einfach:
divisio (fällt oft weg), notanda, conclusio, argumenta pro (ganz kurz), Einwände
(dubitaciones) mit kurzer Begründung, responsio (Lösung der Einwände). Vom
2. Buch an vereinfacht sich dieses Schema noch mehr. Es bleibt gewöhnlich
bei je einer questio zu jeder Distinktion des Lombarden, und diese wird sofort
durch conclusiones mit allereinfachsten Argumentationen beantwortet.
2 Okkams Name ist mir nicht aufgefallen. Okkamistisch ist aber die
Erbsünden- und Gnadenlehre, s. u.!
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gewöhnlich nur eine — herauszufischen: nur das Allerwichtigste aus
der Dogmatik soll dem hörenden bzw. lesenden Schüler in möglichst
handlich-knapper Form vorgesetzt werden1. Es handelt sich um
ein Schulbuch, einen Abriß, und die klare Übersichtlichkeit, die
gewollte Knappheit auch der sprachlichen Form — fast in jedem
Satze spürbar — ist wohl der einzige Vorzug, den man diesem Spät-
werk nachrühmen kann. Aber mit einer unendlichen Masse ge-
lehrten Ballastes ist zugleich auch der Geist ausgetrieben. Die Ver-
wirrung des jugendlichen Hörers durch die Häufung kontroverser
Meinungen und Autoritäten ist glücklich vermieden. Dafür reicht
aber auch die Gelehrsamkeit des Verfassers kaum noch bis in jene
Tiefe, wo die großen, prinzipiellen Auseinandersetzungen anheben.
Es ist — im ganzen —- mehr auf eine Darlegung des unbestrittenen
Gemeingutes aller Schulen, als auf eine ernsthafte Erörterung und
Lösung viel umkämpfter Probleme abgesehen. Wo solche Fragen
dennoch zur Sprache kommen, da führt dieses Bestreben leicht zu
trivialen, ausweichenden Antworten.
Es ist deshalb nicht leicht, aus dem eintönigen Grau des Schul-
buchs eine bestimmte Parteifarbe des Autors herauszufinden. Zwar
fehlt es nicht ganz an Kennzeichen; im ganzen aber bildet die
Schrift einen neuen Beleg für die Verwaschenheit der Schulgegen-
sätze in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, für die geringe prin-
zipielle Bedeutung des eben damals angefachten Streites zwischen
via moderna und via antiqua. Alle großen Namen der Hoch-
scholastik werden als Autoritäten nebeneinander angerufen: Thomas
(am meisten zitiert), Alexander, Bonaventura und Scotus, aber
auch Spätere, wie Egidius Romanus, Thomas von Straßburg u. a. m.2.
Was uns am meisten interessiert, ist die Stellungnahme Wesels zu
den Fragen, die er später ketzerisch beantwortet hat. Und wenn
auch leider das Wichtigste, die Sakramentenlehre, fehlt, so bieten
sich immerhin einige andere Punkte zur Vergleichung dar.
1 Im ersten Buch wird zunächst der wesentliche Inhalt jeder „Di-
stinktion“ des Lombarden kurz erläutert, und zwar ganz elementar, alsdann
zum Abschluß je eine quaestio angefügt. Deren Schematik ist sehr einfach:
divisio (fällt oft weg), notanda, conclusio, argumenta pro (ganz kurz), Einwände
(dubitaciones) mit kurzer Begründung, responsio (Lösung der Einwände). Vom
2. Buch an vereinfacht sich dieses Schema noch mehr. Es bleibt gewöhnlich
bei je einer questio zu jeder Distinktion des Lombarden, und diese wird sofort
durch conclusiones mit allereinfachsten Argumentationen beantwortet.
2 Okkams Name ist mir nicht aufgefallen. Okkamistisch ist aber die
Erbsünden- und Gnadenlehre, s. u.!