Studien zur Spätscholastik. III.
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kommene Willensfreiheit des Menschen so wenig eingeschränkt,
daß sich gleichwohl der Satz ergibt: peccatum (originale) nichil est
nec habet causam nisi actuale peccatum primi parentis. Die ganze
Lehre führt demnach hier noch nicht über die schulmäßig-kirchliche
Tradition hinaus. Anderseits deutet die Definition der Erbsünde
als „nihil“ bereits auf ihre spätere radikale Leugnung vor; es
bedarf nur noch des völligen Verzichts auf den fomes peccati, und
die Ketzerei ist fertig ausgebildet. Wenn (nach dem Sentenzenbuch)
die „Erbsünde“ der noch ungetauften Kinder ausschließlich darin
bestehen soll, daß sie noch keine guten Werke getan haben, so ist
der Sprung von da zur völligen Leugnung der Erbsünde in den
noch Ungeborenen, aber bereits Empfangenen (die man ihm als
häretisch im Ketzerverhör vorwarf) nicht mehr weit. Übrigens
wird uns der erste Marientraktat der Stockholmer Handschrift
(B, 5) über diese Dinge noch viel genaueren Aufschluß geben.
Der hiernach bereits erkennbar gewordene okkamistische
Standpunkt des Verfassers bestätigt sich sogleich in der Auffassung
der Taufe und der sakramentalen Gnade überhaupt: an sich könnte
Gott die Sünde erlassen auch ohne Eingießung der Gnade, durch
bloße Nichtanrechnung jener ,,carentia iusticie originalis“; aber
er zieht es (lege ordinata, würde Okkam sagen) vor die gratia gratum
faciens als „Äquivalent“ der fehlenden iusticia originalis im Sakra-
ment zu verleihen1. Und ebenso erscheint die skotistisch-okkami-
stische Unbedingtheit der göttlichen Präscienz und Prädestination
in der üblichen spätscholastischen Formulierung wiederholt (A, 3)2.
Hiernach könnte man eine Wiederholung okkamistischer For-
meln auch in der Gnadenlehre erwarten. Doch wird die kompila-
torische und oberflächliche Arbeitsweise des Autors gerade hier,
diesen meistumstrittenen Problemen gegenüber, besonders fühlbar
(A, 4). — In der Frage, ob wir die Seligkeit de congruo oder de con-
1 Ähnlich im großen Marientraktat (B 5, gegen Ende): die parvuli nati
non habent iusticiam originalem, quia dator iustitie . . . non dedit illis, quod non
voluit. — Aus demselben Motiv entspringt sicherlich der articulus additionalis
des Ketzerverhörs (bei d’Argentre 296): Deus potest gratiam conferre habenti
usum rationis absque omni motu liberi arbitrii . . . Deus potest dare gratiam
hujusmodi habenti usum rationis non facienti, quod in se est. An das augusti-
nische sola gratia, wie es Wessel und Goch erneuerten und vertieften, ist hier
sicherlich nicht zu denken, wohl aber an die potestas absoluta dei im Sinne der
Skotisten und Okkamisten.
2 Vgl. auch die entsprechende Stelle der Paradoxa, d’Argentre 291*
Sp. 2, die sich hiernach erklären dürfte.
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kommene Willensfreiheit des Menschen so wenig eingeschränkt,
daß sich gleichwohl der Satz ergibt: peccatum (originale) nichil est
nec habet causam nisi actuale peccatum primi parentis. Die ganze
Lehre führt demnach hier noch nicht über die schulmäßig-kirchliche
Tradition hinaus. Anderseits deutet die Definition der Erbsünde
als „nihil“ bereits auf ihre spätere radikale Leugnung vor; es
bedarf nur noch des völligen Verzichts auf den fomes peccati, und
die Ketzerei ist fertig ausgebildet. Wenn (nach dem Sentenzenbuch)
die „Erbsünde“ der noch ungetauften Kinder ausschließlich darin
bestehen soll, daß sie noch keine guten Werke getan haben, so ist
der Sprung von da zur völligen Leugnung der Erbsünde in den
noch Ungeborenen, aber bereits Empfangenen (die man ihm als
häretisch im Ketzerverhör vorwarf) nicht mehr weit. Übrigens
wird uns der erste Marientraktat der Stockholmer Handschrift
(B, 5) über diese Dinge noch viel genaueren Aufschluß geben.
Der hiernach bereits erkennbar gewordene okkamistische
Standpunkt des Verfassers bestätigt sich sogleich in der Auffassung
der Taufe und der sakramentalen Gnade überhaupt: an sich könnte
Gott die Sünde erlassen auch ohne Eingießung der Gnade, durch
bloße Nichtanrechnung jener ,,carentia iusticie originalis“; aber
er zieht es (lege ordinata, würde Okkam sagen) vor die gratia gratum
faciens als „Äquivalent“ der fehlenden iusticia originalis im Sakra-
ment zu verleihen1. Und ebenso erscheint die skotistisch-okkami-
stische Unbedingtheit der göttlichen Präscienz und Prädestination
in der üblichen spätscholastischen Formulierung wiederholt (A, 3)2.
Hiernach könnte man eine Wiederholung okkamistischer For-
meln auch in der Gnadenlehre erwarten. Doch wird die kompila-
torische und oberflächliche Arbeitsweise des Autors gerade hier,
diesen meistumstrittenen Problemen gegenüber, besonders fühlbar
(A, 4). — In der Frage, ob wir die Seligkeit de congruo oder de con-
1 Ähnlich im großen Marientraktat (B 5, gegen Ende): die parvuli nati
non habent iusticiam originalem, quia dator iustitie . . . non dedit illis, quod non
voluit. — Aus demselben Motiv entspringt sicherlich der articulus additionalis
des Ketzerverhörs (bei d’Argentre 296): Deus potest gratiam conferre habenti
usum rationis absque omni motu liberi arbitrii . . . Deus potest dare gratiam
hujusmodi habenti usum rationis non facienti, quod in se est. An das augusti-
nische sola gratia, wie es Wessel und Goch erneuerten und vertieften, ist hier
sicherlich nicht zu denken, wohl aber an die potestas absoluta dei im Sinne der
Skotisten und Okkamisten.
2 Vgl. auch die entsprechende Stelle der Paradoxa, d’Argentre 291*
Sp. 2, die sich hiernach erklären dürfte.