Studien zur Spätscholastik. III.
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anzudeuten: 1. daß der Redner, schon öfter zu demselben Zweck
von seinem Bischof verwendet, sich auf Widerspruch gefaßt macht1;
2. daß man seine Geringschätzung der üblichen scholastischen Art
des Argumentierens als bloße „Rhetorik“ in der Versammlung
kannte (dasselbe Motiv klingt noch einmal in dem Briefwechsel mit
Johannes de Lutra an2!). Dazu kommen gewisse skeptisch klin-
gende Wendungen, die einen Zweifel des Redners an der inneren
Berechtigung des Zölibats andeuten könnten3; was er dagegen über
das Fasten sagt (die Gesinnung, nicht die äußerliche Handlung sei
wesentlich) ist wohl noch ganz konventionell zu verstehen4 — wie
denn überhaupt diese Büßpredigt Wesels — bei großer stilistisch-
rhetorischer Gewandtheit und recht unscholastischer Schlichtheit
der Form — über eine äußerliche Wiederholung konventioneller
Motive nirgends hinauskommt; man spürt das doppelt beim Ver-
gleich mit der ganz innerlichen, tiefreligiösen Art, in der etwa
gleichzeitig Pupper von Goch das von Wesel zugrunde gelegte Thema
vom Zöllner und Pharisäer zur Kritik äußerlicher Werktätigkeit des
geistlichen Standes zu gebrauchen weiß5.
Derselbe Eindruck drängt sich auf, wenn man die Warnung
Wesels vor dem Ahlegen unbedachter Gelübde, wie sie der seel-
sorgerliche Ratschlag für den Karthäuser enthält (B 2), mit der tief
eindringenden Kritik Gochs am Mönchsgelübde vergleicht: dessen
unbeirrbares Dringen auf Freiwilligkeit der Gesinnung statt äußer-
lichen Zwanges6 findet bei unserem Scholastiker keinerlei Parallele7.
1 Von den betr. Sätzen wird man freilich das meiste als bloßen rheto-
rischen Schmuck ohne sachliche Bedeutung betrachten müssen.
2 Siehe B 1, nr. d, zu Anfang.
3 Vgl. Ketzerverhör Pkt. 21—23. Freilich hält er unmittelbar vorher
denen, die da sagen: „in sacro ordine suscepto non voveo castitatem nec est de
essentia ordinis aut habitus aut Votum castitatis, quare incontinens factus non
ero sacrilegus“, die entgegenstehenden Bestimmungen des G. 6 D. 23 (Fried-
berg I, 81) entgegen. Daß er diesen Standpunkt (Zölibat als menschliche
Satzung verbindlich) dauernd festgehalten hat, zeigt B 1, b. Darüber s. unten
bei der Besprechung von B 1 das Nähere!
4 Über seine spätere Ablehnung der Fastengebote s. u.!
5 Vgl. Clemen, Goch 106f., und Gochs dialogus bei Walch, Monim. I,
fase. 4, 99ff.
6 Vgl. Clemen, Goch, 167ff. Auch im Ketzerverhör Wesels (Punkt 21)
ist davon nicht die Rede; seine Kritik des Mönchtums scheint sich dort auf
die Feststellung zu beschränken, daß auch das Gelübde nicht den Himmel
verdient, und daß letzten Endes die gratia dei, nicht die mönchische Leistung
entscheidet. 7 Hinzuweisen ist indessen auf ganz ähnliche Warnungen
Wessels vor stultae promissiones: Opera (Amsterdam 1617) 752f.
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anzudeuten: 1. daß der Redner, schon öfter zu demselben Zweck
von seinem Bischof verwendet, sich auf Widerspruch gefaßt macht1;
2. daß man seine Geringschätzung der üblichen scholastischen Art
des Argumentierens als bloße „Rhetorik“ in der Versammlung
kannte (dasselbe Motiv klingt noch einmal in dem Briefwechsel mit
Johannes de Lutra an2!). Dazu kommen gewisse skeptisch klin-
gende Wendungen, die einen Zweifel des Redners an der inneren
Berechtigung des Zölibats andeuten könnten3; was er dagegen über
das Fasten sagt (die Gesinnung, nicht die äußerliche Handlung sei
wesentlich) ist wohl noch ganz konventionell zu verstehen4 — wie
denn überhaupt diese Büßpredigt Wesels — bei großer stilistisch-
rhetorischer Gewandtheit und recht unscholastischer Schlichtheit
der Form — über eine äußerliche Wiederholung konventioneller
Motive nirgends hinauskommt; man spürt das doppelt beim Ver-
gleich mit der ganz innerlichen, tiefreligiösen Art, in der etwa
gleichzeitig Pupper von Goch das von Wesel zugrunde gelegte Thema
vom Zöllner und Pharisäer zur Kritik äußerlicher Werktätigkeit des
geistlichen Standes zu gebrauchen weiß5.
Derselbe Eindruck drängt sich auf, wenn man die Warnung
Wesels vor dem Ahlegen unbedachter Gelübde, wie sie der seel-
sorgerliche Ratschlag für den Karthäuser enthält (B 2), mit der tief
eindringenden Kritik Gochs am Mönchsgelübde vergleicht: dessen
unbeirrbares Dringen auf Freiwilligkeit der Gesinnung statt äußer-
lichen Zwanges6 findet bei unserem Scholastiker keinerlei Parallele7.
1 Von den betr. Sätzen wird man freilich das meiste als bloßen rheto-
rischen Schmuck ohne sachliche Bedeutung betrachten müssen.
2 Siehe B 1, nr. d, zu Anfang.
3 Vgl. Ketzerverhör Pkt. 21—23. Freilich hält er unmittelbar vorher
denen, die da sagen: „in sacro ordine suscepto non voveo castitatem nec est de
essentia ordinis aut habitus aut Votum castitatis, quare incontinens factus non
ero sacrilegus“, die entgegenstehenden Bestimmungen des G. 6 D. 23 (Fried-
berg I, 81) entgegen. Daß er diesen Standpunkt (Zölibat als menschliche
Satzung verbindlich) dauernd festgehalten hat, zeigt B 1, b. Darüber s. unten
bei der Besprechung von B 1 das Nähere!
4 Über seine spätere Ablehnung der Fastengebote s. u.!
5 Vgl. Clemen, Goch 106f., und Gochs dialogus bei Walch, Monim. I,
fase. 4, 99ff.
6 Vgl. Clemen, Goch, 167ff. Auch im Ketzerverhör Wesels (Punkt 21)
ist davon nicht die Rede; seine Kritik des Mönchtums scheint sich dort auf
die Feststellung zu beschränken, daß auch das Gelübde nicht den Himmel
verdient, und daß letzten Endes die gratia dei, nicht die mönchische Leistung
entscheidet. 7 Hinzuweisen ist indessen auf ganz ähnliche Warnungen
Wessels vor stultae promissiones: Opera (Amsterdam 1617) 752f.