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Ritter, Gerhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 5. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 3: Neue Quellenstücke zur Theologie des Johann von Wesel — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38927#0018
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18

Gerhard Ritter:

des Gefecht. Seine einzelnen Stadien brauchen wir hier nicht zu
verfolgen; an allen Punkten wird die Auslegung Augustins und
der Glosse widerlegt. Daß es dabei zuweilen etwas gewaltsam her-
geht, stört die Zuversicht des Verfassers so wenig, daß er vielmehr
triumphierend verkündet: „Si nullus umquam doctorum confinxisset
hoc vocabulum ‘peccatum originale’, nihilominus salvarentur in veri-
tate omnes scripture fidei et sacre.“ Und doch sieht man deutlich,
daß letzten Endes Erwägungen der Vernunft, nicht solche echt
religiöser Art hinter seinen Deutungen stehen. Für seine These,
daß die Neugeborenen ohne positive Sündenbefleckung sind und
darum, wenn sie ungetauft sterben, nur mit carentia glorie, nicht
aber mit pena sensibilis bestraft werden, weiß er schließlich keinen
anderen Beweis, als den, daß es die „Gerechtigkeit“ so erfordere.
Noch schwieriger wird seine Position im dritten Teil des Trak-
tats, wo er sich mit dem Sinn der Kindertaufe beschäftigt und nun
beweisen muß, daß dieses Sakrament, wenn es neugeborene Kind-
lein empfangen, nicht der Abwaschung von Sünden dient. Gerät
er doch damit in offenen Widerspruch zu einem der bekanntesten
Konzilsdekrete der alten Kirche1! Aber das macht ihm geringe
Sorge. Im Gegenteil: er entrüstet sich, daß die Konzilväter (dar-
unter Augustin), ein so geringer Teil der katholischen Kirche, es
gewagt hätten, ihre Meinung als die allgemeine und von jeher gül-
tige auszugeben! In Wahrheit habe doch erst Augustin sie auf-
gebracht! Immerhin fühlt er selbst, daß seine Berufung auf die
„Gerechtigkeit“ Gottes seltsam kontrastiert zu der auch von ihm
festgehaltenen Lehre, daß die ungetauften Kindlein der iusticia
originalis entbehren müssen: das Vernunftprinzip, in diese dunklen
Zusammenhänge einmal eingeführt, gerät mit sich selbst in Wider-
spruch, und auch ihm bleibt schließlich nichts übrig, als sich (mit
echt okkamistischer Wendung) hinter die Irrationalität der gött-
lichen Ratschlüsse zu verschanzen.
Nach alledem sieht man deutlich, wie diese Leugnung der Erb-
sünde unmittelbar aus einer logisch konsequenten Übersteigerung
okkamistischer Gedankenreihen erwachsen ist: die Beschränkung
der Willensfreiheit und Verantwortlichkeit des Menschen, die im
1 Dieser letzte Teil des Traktats scheint denn auch Wesels Gegnern den
Hauptanstoß gegeben zu haben. Auf ihn weist später Wigandus Wirt (in dem
unten, Abschnitte zu besprechenden Dialogus apologeticus contra Weselianicam
perfidiam) besonders triumphierend hin bei dem Versuch, die Abscheulichkeit
seiner Ketzereien zu demonstrieren.
 
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