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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 5. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 3: Neue Quellenstücke zur Theologie des Johann von Wesel — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38927#0021
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Studien zur Spätscholastik. III.

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Freilich geschieht das — zunächst — ganz äußerlich, ohne den Ver-
such einer systematischen Entwicklung seines eigenen Begriffs vom
Priestertum. Recht inkonsequent verfährt Wesel sodann bei der
Ausräumung jener angeblichen „Inkongruenzen“. Bald muß ihm
die Autorität der Glosse oder der Kirchenväter als Beweis seiner
Thesen dienen, bald setzt er sich unbedenklich darüber hinweg1.
An die Himmelfahrt Mariä secundum corpus glaubt er nicht, weil
diese Lehre erst nach Hieronymus und Augustin aufgekommen sei,
die Fastengebote hält er nicht für streng verbindlich, weil die
römische Kurie selber und fast ganz Italien sich davon dispensieren,
die Verbindlichkeit der Horen und des priesterlichen Zölibats will
er zwar gelten lassen, aber nur als menschliche Satzung2; den
Zölibat freilich nur unter gewissen Bedenken, die er aber erst im
zweiten Briefe freimütig äußert; in der Frage des Laienkelches
stellt er sich entschieden auf den Standpunkt des Neuen Testa-
mentes nach Auslegung der Hussiten. Ein wirklich systematischer
Bibelbeweis wird nur an einer Stelle unternommen: im Kampf gegen
die Lehre vom päpstlichen Vikariat Christi. Auf ihn konzentriert
sich das Hauptinteresse.
Christus hat nicht den Petrus allein, sondern alle Apostel zu
seinen Stellvertretern ernannt3; er braucht gar keinen eigentlichen
Stellvertreter, da er versprochen hat, unter seinen Jüngern selbst
gegenwärtig zu sein bis ans Ende der Tage — als persönliches Haupt
der Kirche. Dieselbe, in der Oppositionsliteratur des späteren
Mittelalters schon oft gebrauchte Beweisführung findet man u. a.
auch bei Wessel Gansfort4, der sich dabei — dem Wortlaut nach
zu schließen — auf eine Stelle bei Gerson stützt5. Aber von den
radikalen und tiefsinnigen Konsequenzen, die Gansfort aus diesem
Gedanken entwickelt: dem allgemeinen Priestertum der Gläubigen,
der Gleichsetzung von clavis und Gabe des heiligen Geistes, hält
sich unser Theologe weit entfernt. Ihm genügt es, in der Art aller
1 Vgl. dazu Bl,d (mehrere Beispiele) und B 5. Übrigens ist diese Willkür
auch Joh. de Lutra aufgefallen! (Vgl. B, 1, c.)
2 Genau so im Ketzerverhör: Punkt 21. Die Inquisition erkannte offen-
bar die Korrektheit dieser Auffassung an, indem sie diesen Punkt beim zweiten
Verhör fallen ließ.
3 Auch hierbei Berufung nicht nur auf die Bibel, sondern — sogar an
erster Stelle — auf eine prefatio des missale und einen Kanon des Dekrets!
4 De sacram. poen., Opp. 772; Epist. ad Hoek, ibid. 891.
0 Fizely, a. a. O., 59. Das ,,vicarios, non vicariu?n“ findet man aber
auch bei Gregor von Heimburg u. s. ö.
 
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