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Ritter, Gerhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 5. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 3: Neue Quellenstücke zur Theologie des Johann von Wesel — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38927#0027
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Studien zur Spätscholastik. III.

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1. Er weiß zwar, daß Gott, wenn er will, dem Sünder auch
ohne zeitliche Strafen vergeben kann im bloßen Hinblick auf Christi
Verdienst1 2. Aber de via ordinata2 verhängt er trotz der injusio
gratiae gratum facientis regelmäßig zeitliche Strafen. Beweis: es
muß so sein, weil sonst die Lehre von der poenitentia satisfactoria in
hoc saeculo und vom purgcitorium hinfällig wäre, die doch in der
Bibel klar bezeugt ist3. Eben darum, weil die zeitliche Strafe (hier
oder im Fegfeuer) nicht wegfallen kann, ist ein vollkommener
„Ablaß“ undenkbar4.
2. Es widerspricht der göttlichen Gerechtigkeit (die also doch
der ratio erkennbar und rationalen Gesichtspunkten unterworfen
scheint), ut deus statuat poenas jilii sui pro poenis aliorum peccan-
tium. Denn: delinquentem non punire et innocentis poenam accipere
pro poena peccantis, est contra divinam iustitiam5.
Diese Inkonsequenzen werden die Anerkennung der Tatsache
nicht beeinträchtigen, daß im Ablaßtraktat, wie in der Weselschen
Kritik an der potestas sacerdotalis überhaupt, ein echt religiöses
Motiv wirksam gewesen ist: das Bedürfnis, den Primat der göttlichen
Majestät gegen alle Verdunkelung durch menschliches Selbst-
bewußtsein unbedingt zur Geltung zu bringen6. Aber dieses Be-
dürfnis hatte seit dem großen Bruch, den die Krisis des 14. Jahr-
hunderts in die Entwicklung der mittelalterlichen Kirche und ihrer
Lehre gebracht hatte, längst in tausend anderen, ähnlichen Er-
scheinungen Ausdruck gefunden. Nicht der Inhalt der Weselschen
Schriften an sich ist also geschichtlich bedeutsam, sondern (wie ich
an anderer Stelle näher ausgeführt habe7) die höchst auffallende
Tatsache, daß innerhalb der durchweg zahmen und geistig rück-

1 Walch, Monim. I, 147 (cap. 44).
2 Der Ausdruck wird hier nicht gebraucht.
3 Gap. 31 u. 47.
4 Gap. 35.
6 Gap. 46, p. 149. Die Inkonsequenz fällt dadurch besonders kraß in
die Augen, weil unmittelbar darauf gesagt wird, es stünde Gott natürlich voll-
kommen frei, die geringste zeitliche Strafe für die größte Sünde als hinreichend
anzunehmen!
6 Die von Kropatschek (a. a. O. 414) beifällig wiederholte Auffassung
H erm. Schmidts, der alle Opposition Wesels aus dem sog. reformatorischen
„Formalprinzip“ ableiten will, das einseitig und einigermaßen zusammenhang-
los gegen diese und jene katholische Tradition polemisch verwandt worden sei,
scheint mir nunmehr veraltet.
7 In dem im Vorwort zitierten Aufsatz.
 
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