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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 5. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 3: Neue Quellenstücke zur Theologie des Johann von Wesel — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38927#0029
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Studien zur Spätscholastik. III.

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Ablaß, daß die Sündenvergebung im Sakrament wie selbstverständ-
lich auch den Erlaß zeitlicher und ewiger Strafen in sich schließe,
wird von Wesel in sein Gegenteil verkehrt. Haben wirklich hier
Berührungen stattgefunden, so können sie doch nur recht äußer-
licher Art gewesen sein1. Gerade das entscheidend Neue, das den
niederländischen Reformer auszeichnet: die positive Wendungseiner
Kritik, die theologische Herausarbeitung eines neuen Frömmig-
keitstypus, fehlt seinem deutschen Zeitgenossen und Mitkämpfer
völlig2. Die Möglichkeit, daß Wesselsche Ideen -—- gewissermaßen
isoliert, in den Zusammenhang einer fremden Gedankenwelt ver-
pflanzt — als Gärungsfermente auf unsern Scholastiker eingewirkt
haben, bleibt trotz alledem bestehen. Aber näher liegt doch die
Beziehung zur wiklifitischen Opposition -—- um so näher, als sie
auch durch äußere Lebensdaten bezeugt ist: ohne allen Zweifel ist
Johann von Wesel mit böhmischen Häretikern zuletzt in persön-
liche Verbindung getreten, und Freund wie Feind glaubten sein
oppositionelles Auftreten aus dieser Quelle ableiten zu können3.
Nur fehlt uns jede Möglichkeit, Zeitpunkt, Art und Grenze solcher
Einflüsse näher zu bestimmen. Johann von Wesel selber bestritt
im Verhör, jemals Briefe oder Schriften von Hussiten empfangen
und ihnen öfter als einmal geschrieben zu haben; einen Böhmen,
den man im Verkehr mit ihm ertappte, wollte er im Gespräch mit
1 Ich stehe nicht an zu bekennen, daß erneute gründliche Durcharbeitung
der Quellen mich gezwungen hat, den in meinem Aufsatz in der Deutschen
Vierteljahrsschrift (s. Vorwort) bereits angedeuteten Abstand der beiden Theo-
logen noch erheblich zu vergrößern. Der dort S. B71 auf Grund zahlreicher An-
klänge allzu zuversichtlich behauptete Einfluß Wesselscher Schriften auf Joh.
von Wesel erscheint mir heute nicht mehr „zweifellos“. Das „fremde Gedanken-
gut“, das ich dort in eine „breite Erbmasse scholastischen Denkens ein-
brechen“ sehe, braucht wohl doch nicht notwendig wesselischer Herkunft
zu sein.
2 Gewisse Schwierigkeiten macht auch die Chronologie: Wesels ketze-
rische Ansichten begannen sich, wie wir hörten, seit Anfang der 70 er Jahre
zu bilden und scheinen in dem Briefwechsel mit Lutra 1472 im wesentlichen
fertig ausgebildet. Wessel Gansfort scheint erst um 1475 von seinen Reisen in
Westeuropa nach dem Niederrhein heimgekehrt zu sein. (Vgl. van Rhijn,
Wessel Gansfort, s’Gravenhage 1917, S. 110.)
3 Als Gegner: der Frankfurter Dominikaner Wigand Wirt, s. Katholik
(1898) I, 46ff. Mit unverkennbarer Sympathie: Joh. Butzbach, s. Hutteni
opera, ed. Böcking, suppl. II, 502, u. F. Falk, Bibelstudien usw. in Mainz
(1901), 62. Butzbach spricht von einer Reise Wesels nach Böhmen; davon
weiß aber weder das Inquisitionsgericht noch Wigand Wirt das geringste. Es
wird sich also um eine gerüchtweise Übertreibung handeln.
 
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