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Lohmeyer, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1927/28, 4. Abhandlung): Kyrios Jesus: eine Untersuchung zu Phil. 2,5-11 — Heidelberg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.38938#0045
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Kyrios Jesus.

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sieht in dem Tod an sich das dunkle göttliche Rätsel, das das er-
lösende Wunder der Auferstehung in sich schließt. Sterben heißt
schon auferstehen; es ist der unmittelbare „Hingang zum Vater“,
die Stunde des Todes unmittelbar auch die Stunde der Verherr-
lichung. Für die andere Deutung ist die Art des Todes, eben der
Kreuzestod, das äußerste Ärgernis und die törichteste Torheit.
Er gehört noch ganz der Sphäre des Menschlichen an; und erst
in der Auferstehung, die nicht mit ihm, sondern durch ein göttliches
Wunder nach ihm gesetzt ist, wird auch der Kreuzestod für die
Gläubigen zu einem Zeichen von „Gottes Kraft und Gottes Weis-
heit“ (1. Kor. 1, 24). Die erste Deutung ist vor allem die „johanne-
isehe“, auch die des Hebräerbriefes; die zweite ist die paulinische1.
Jene hat das Symbol des Lammes, diese das des Kreuzes geprägt.
Nun kennt die Anschauung dieses Gedichtes den Tod überhaupt als
das letzte Erschreckende und Beseligende in der Reihe der von der
göttlichen Gestalt auf sich genommenen Taten des Gehorsams;
sie gehört also vor Johannes der johanneischen Betrachtungsweise
an. Dann aber ist havaTou $s GTaopou eine von Paulus in das Ge-
dicht eingetragene Glosse; sie fügt ihm das für Paulus grundlegende
Motiv des Kreuzes ein und interpretiert damit ein fest überliefertes
Wort urchristlicher Dichtung in ähnlicher Weise, wie Paulus ge-
legentlich auch ein Wort alttestamentlicher Prophetie durch eigene
Zusätze näher erläutern kann (vgl. 1. Kor. 15, 56). Im Sinne des
Paulus ist der Zusatz vom „Kreuzestod“ bestimmt, die bloße
Nennung des Todes Christi zu steigern; er steigert damit auch die
Größe der vorbildlichen Demut Christi. Das Motiv dieser Inter-
pretation scheint vor allem ein sachliches zu sein; das Evangelium
des Paulus ist ja „das Wort vom Kreuz“. In dem Zusammenhang,
in dem das Gedicht steht, wirkt auch ein paränetischer Gedanke
mit. Der Gemeinde zu Philippi oder wenigstens einzelnen ihrer
Glieder ist durch ihr Martyrium die Möglichkeit eines „Sterbens für
Christus“ nahe gerückt. Es ist, menschlich gesehen, der schmähliche
Tod wegen eines Verbrechens wider staatliche Gesetze. Schmäh-
licher aber als der Kreuzestod Christi — so darf man dann diesen
Zusatz interpretieren — kann niemals der Tod eines Christen sein;
ja, wie er der Beweis einer vorbildlichen Demut war, so wird auch
von dem Gläubigen dieser Beweis gefordert. Dennoch ist im Sinne
des Psalmes die höchste Steigerung der „Niedrigkeit“ mit der
Nennung des Todes überhaupt erreicht und eine weitere Steigerung
1 Ihr gehören wohl auch die synoptischen Evangelien an.
 
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