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Nikolaus [Editor]; Hoffmann, Ernst [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1928/29, 3. Abhandlung): Cusanus-Texte: I. Predigten, 1: Dies sanctificatus vom Jahre 1439 — Heidelberg, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.39951#0050
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E. H OFFMANN und R. Klibansky.

sofern als der Schöpfer ein anderer ist als das Geschöpf, sondern
sofern Gott als Subjekt und Objekt möglicher Erkenntnis aller
Diskursivität und Relativität entzogen ist. Trotzdem ist er in der
Welt (Immanenz), und die Welt ist in ihm (Inhaerenz). Er ist in
der Welt: denn jedes konkrete Ding der Welt ist ein eines (durch
Teilhabe an der Seinsidee der Einheit), es ist ein „eingeschränkt“
(= contractum) eines. Und die Welt ist in ihm: denn die Relation
ist logisch nicht möglich außer als „relativ“, d. h. als abhangend
vom Absoluten und als in ihm begründet; Gottes Sein ist die Form,
zu der alle Existenzen nur Akzidenzen sind. Daher muß nicht nur
Gott, sondern müssen auch alle Dinge trinitarisch gedacht werden;
kein Ding ist ohne die drei Momente der Einheit, Unterschiedenheit
und Verbundenheit. Auf der Verbundenheit beruht (den Ge-
danken aufs Universum angewandt) letztlich der Zusammenhang
der Welt; also —- mit Leibniz zu sprechen — die lex continui1.
Auf der Unterschiedenheit beruht (wieder universell gedacht)
die individuelle Ungleichheit aller Dinge, denn an der „unteil-
baren“ Idee können nicht zwei Dinge „gleichen Teil“ haben, weil
Teilhabe überhaupt nicht „Teil“ haben ist. Dies ist bei Cusanus
die Fassung des principium identitatis indiscernibilium, es folgt
ihm also aus dem Gedanken der Methexis. Auf der Einheit
schließlich beruht alle Existenz; die des Universums ist die des
Maximal-Einen, es hat den höchsten Grad der Teilhabe an der
absoluten Einheit.
Vorhin sahen wir: die Ratio, die sich ihrer eigenen Prinzipien
bewußt wird, postuliert die trinitarische Struktur des absoluten
Seins. Jetzt sehen wir: gerade auch der Regriff der Konkretheit
beruht auf der Trinität. Die Methexis des Vielen an der Einsheit
wird getragen durch den trinitarischen Gedanken. Dabei ist im
tiefsten Sinne immer noch der platonische Gedanke erhalten: Seins-
dialektik beruht auf der ίσότης, auf der Grundfunktion des Ver-
standes, Gleichheit zu denken. In der Tat beruht auf der Gleich-
heitsidee auch die cusanische Trinitätsdialektik. Denn Dialektik
hebt erst an, wenn zu dem Identischen der Seinsheit das Nicht-Iden-
tische der Gleichheit tritt. Dies ist —- formallogisch betrachtet
- die Geburt des Einen aus der Einsheit; des Gleichen aus der
Identität; der Relation aus der Substanz; des Sohnes aus dem
Vater.
1 Ygl. R. Eucken, Nikolaus v. Cues als Bahnbrecher neuer Ideen.
(Beiträge z. Einführung in die Geschichte der Philosophie), S. 2ff.
 
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