ΊΟ
Raymond Klibansky:
eingeräumt wird: Während die Auslegung der zweiten bis neunten
Hypothesis auch innerhalb der Schule umstritten war, stimmten
doch alle darin überein1, daß das εν der ersten Platonischen Hypo-
thesis als das εν des neuplatonischen Systems, als oberstes Prinzip
und höchster Gott zu verstehen sei, daß also die Gotteslehre den
Gegenstand dieser Hypothesis bilde2. Wenn im Platonischen
Dialog als Abschluß dieses Teils ausgesprochen ist, daß weder Name
noch sinnvolle Rede, weder irgend eine Erkenntnis noch ein Mut-
maßen oder eine Wahrnehmung imstande sei, das Eine zu erfassen3,
so löst der neuplatonische Philosoph den Teil aus dem Gefüge des
Ganzen, faßt das hypothetisch Gesetzte absolut und erblickt in
diesen Sätzen die nachdrückliche Betonung der alle Sprache und
alles Denken übersteigenden Erhabenheit des höchsten Gottes. In
der Verbindung des hier vom Einen Gesagten mit der Lehre anderer
Platonischer Schriften, vor allem mit der Idee des Guten der
Politeia4, dem Vater des führenden Gottes im Sechsten Brief, der
1 Vgl. etwa Proklos in Platon. Theol. I. 10, pag. 21: „Περί μέν οδν της
πρώτιστης των υποθέσεων άπαντες σχεδόν συμπεφωνήκασιν άλλήλοις και τής υπερουσίου
των δλων αρχής διά ταύτης άξιουσι τον Πλάτωνα τής ύποθέσεως το άρρητον καί
άγνωστον καί παντός έπέκεινα του οντος άνυμνεΐν · περί δέ τής μετά ταύτης ού τον
αυτόν τρόπον άπαντες άναδιδάσκουσιν.“ Marinos, der Nachfolger und Biograph
des Proklos, scheint der einzige zu sein, der für das ganze Werk eine ab-
weichende Deutung gab; weil nach ihm der Dialog nicht von den obersten
Prinzipien sondern von den Ideen handeln sollte, erhält er von Damaskios
heftigen Tadel (Pi-iotios Biblioth., pag. 351a 30sq. = Βίος Ισιδώρου έκτων
Φωτίου, Patrol. Graec. ed. Migne tom. 103, col. 1300); vgl. ferner Suidas
s. v. Marinos, rec. Bernhardy pag. 699, 5.
2 Vgl. etwa Syrian, Metaphysik-Komment., p. 5, 34 (Comment. in
Aristot. graec. vol.VI. 1, ed. Kroll); Proklos, Parmenid.-Komment. p,1060sq.,
1069 sq.; Simplikios, Kategorien-Komment, p. 75 (Comment. in Arist. gr.
vol. VIII, ed. Kalbfleisch).
3 Platon, Parmen. p. 142a: ,,Ούδ άρα όνομα έστιν αύτω ούδέ λόγος ούδέ
τις έπιστήμη ούδέ αίσθησις ούδέ δόξα . . . ούδ’ ονομάζεται άρα ούδέ λέγεται ούδέ
δοξάζεται ούδέ γιγνώσκεται, ούδέ τι των οντων αύτοϋ αισθάνεται.“ — Schon die
nächste Wechselrede läßt keinen Zweifel, daß diese Sätze im dialektischen
Zusammenhang nicht die absolute Geltung haben,die sie von Proklos erhalten.
Im Kommentar zum nächsten Satz (pag. 142 a 7) erkennt er die für ihn ent-
stehende Schwierigkeit an (vgl. Beilage V. 2, S. 39), glaubt allerdings, alle
je vorgebrachten Einwände widerlegen zu können; in seinen weiteren Ausfüh-
rungen hilft er sich mit der Differenzierung bestimmter Arten von Negationen
und ihrer verschiedenartigen logischen Geltung.
4 Vgl. etwa Syrian, Komment, zur Metaphysik, p. 55, 26 sq. (ed.
Kroll); Proklos, Parmenid.-Komment, p. 1060 und 1097; Theol. Platon. II.
4, p. 93; im Komment, zum Staat das Stück Περί του έν Πολιτεία λόγου του
δεικνύντος, τί ποτέ έστιν τάγαθόν (bes. I. ρ. 285 sq., ed. Kroll).
Raymond Klibansky:
eingeräumt wird: Während die Auslegung der zweiten bis neunten
Hypothesis auch innerhalb der Schule umstritten war, stimmten
doch alle darin überein1, daß das εν der ersten Platonischen Hypo-
thesis als das εν des neuplatonischen Systems, als oberstes Prinzip
und höchster Gott zu verstehen sei, daß also die Gotteslehre den
Gegenstand dieser Hypothesis bilde2. Wenn im Platonischen
Dialog als Abschluß dieses Teils ausgesprochen ist, daß weder Name
noch sinnvolle Rede, weder irgend eine Erkenntnis noch ein Mut-
maßen oder eine Wahrnehmung imstande sei, das Eine zu erfassen3,
so löst der neuplatonische Philosoph den Teil aus dem Gefüge des
Ganzen, faßt das hypothetisch Gesetzte absolut und erblickt in
diesen Sätzen die nachdrückliche Betonung der alle Sprache und
alles Denken übersteigenden Erhabenheit des höchsten Gottes. In
der Verbindung des hier vom Einen Gesagten mit der Lehre anderer
Platonischer Schriften, vor allem mit der Idee des Guten der
Politeia4, dem Vater des führenden Gottes im Sechsten Brief, der
1 Vgl. etwa Proklos in Platon. Theol. I. 10, pag. 21: „Περί μέν οδν της
πρώτιστης των υποθέσεων άπαντες σχεδόν συμπεφωνήκασιν άλλήλοις και τής υπερουσίου
των δλων αρχής διά ταύτης άξιουσι τον Πλάτωνα τής ύποθέσεως το άρρητον καί
άγνωστον καί παντός έπέκεινα του οντος άνυμνεΐν · περί δέ τής μετά ταύτης ού τον
αυτόν τρόπον άπαντες άναδιδάσκουσιν.“ Marinos, der Nachfolger und Biograph
des Proklos, scheint der einzige zu sein, der für das ganze Werk eine ab-
weichende Deutung gab; weil nach ihm der Dialog nicht von den obersten
Prinzipien sondern von den Ideen handeln sollte, erhält er von Damaskios
heftigen Tadel (Pi-iotios Biblioth., pag. 351a 30sq. = Βίος Ισιδώρου έκτων
Φωτίου, Patrol. Graec. ed. Migne tom. 103, col. 1300); vgl. ferner Suidas
s. v. Marinos, rec. Bernhardy pag. 699, 5.
2 Vgl. etwa Syrian, Metaphysik-Komment., p. 5, 34 (Comment. in
Aristot. graec. vol.VI. 1, ed. Kroll); Proklos, Parmenid.-Komment. p,1060sq.,
1069 sq.; Simplikios, Kategorien-Komment, p. 75 (Comment. in Arist. gr.
vol. VIII, ed. Kalbfleisch).
3 Platon, Parmen. p. 142a: ,,Ούδ άρα όνομα έστιν αύτω ούδέ λόγος ούδέ
τις έπιστήμη ούδέ αίσθησις ούδέ δόξα . . . ούδ’ ονομάζεται άρα ούδέ λέγεται ούδέ
δοξάζεται ούδέ γιγνώσκεται, ούδέ τι των οντων αύτοϋ αισθάνεται.“ — Schon die
nächste Wechselrede läßt keinen Zweifel, daß diese Sätze im dialektischen
Zusammenhang nicht die absolute Geltung haben,die sie von Proklos erhalten.
Im Kommentar zum nächsten Satz (pag. 142 a 7) erkennt er die für ihn ent-
stehende Schwierigkeit an (vgl. Beilage V. 2, S. 39), glaubt allerdings, alle
je vorgebrachten Einwände widerlegen zu können; in seinen weiteren Ausfüh-
rungen hilft er sich mit der Differenzierung bestimmter Arten von Negationen
und ihrer verschiedenartigen logischen Geltung.
4 Vgl. etwa Syrian, Komment, zur Metaphysik, p. 55, 26 sq. (ed.
Kroll); Proklos, Parmenid.-Komment, p. 1060 und 1097; Theol. Platon. II.
4, p. 93; im Komment, zum Staat das Stück Περί του έν Πολιτεία λόγου του
δεικνύντος, τί ποτέ έστιν τάγαθόν (bes. I. ρ. 285 sq., ed. Kroll).