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Raymond Klibansky:
nides verwendet1, so beruht die Möglichkeit dieser Anwendung-
ebenso wie der Zusammenhang, in den sie gestellt ist, auf der Deu-
tung des Proklos.
Und wenn wir berechtigt sind, zwei verschiedene Anwendungs-
weisen der negativen Theologie zu unterscheiden — die eine, die
in der Verneinung aller geschöpflichen und gedanklichen Bestim-
mungen von Gott den Weg für das Verlangen des Gemüts sieht,,
das entbildete und entselbstete Geschöpf mit dem göttlichen Ur-
grund wieder eins werden zu lassen, die andere, in der die Sehnsucht
nach der mystischen Einung die Vernunft als Zeugin aufruft und
in einem spekulativen System Rechtfertigung sucht —: so wird es
uns als ein Kennzeichen dieser zweiten Art erscheinen, daß sie die
Verneinung selbst als Akt des Verstandes erkennt, als vorläufige
Setzung, die ihrerseits wieder verneint werden muß, um für die
Unsagbarkeit und Undenkbarkeit Gottes eine Formel zu finden.
Wenn so Meister Eckhart in seinen lateinischen Schriften wieder-
holt in solch entscheidender Weise die negatio negationis als
Ausdruck für Einheit und Wesen Gottes faßt2, wenn für Cusanus
1 De Divin. Nomin. I, 5 (Dionysii Opera, Patrol. Graec. ed. Migne tom.
III, Paris 1889, col. 593): ,,εί [seil, ή υπερούσιος άκτίς] κρείττων έστί παντός
λόγου και πάσης γνώσεως και ύπέρ νοΰν καθόλου και ουσίαν ϊδρυται . . . καί ούτε
αΐσθησις αυτής έστιν ούτε φαντασία οΰτε δόξα ούτε ονομα ούτε λόγος ούτε επαφή ούτε
έπιστήμη, πώς ό περί θείων ονομάτων ήμΐν διαπραγματευθήσεται λόγος, άκλήτου
καί ύπερωνύμου τής υπερουσίου θεότητος άποδεικνυμένης[vgl. ferner ibid. XIII, 3].
Dieser in neuerer Zeit nicht beachtete Zusammenhang muß Cusanus vorge-
schwebt haben, wenn er in der Apologia sagt, fol 36r: „divinus Plato in Par-
menide tali modo in Deum conatus est viam pandere, quem adeo divinus
Dionysius imitatus est, ut saepius Platonis verba seriatim posuisse reperia-
tur“. (Wegen dieser Behauptung erhält er den Tadel seines Freundes, des
Karthäusers Dionysius [s. Dionysii Opera comment. Dionysii a Rikel eluc.,
Köln 1556, p. 842]). Ebenso Bessarion, In Calumn. Platon. II 3 und I 7, ed.
Aldin. s. a., fol. 14r und llr.
2 ,,. . . in ipso Deo nullum prorsus locum habet negatio; est enim, qui
est, et unus est, quod est negatio negationis.“ (Kommentar zum Ecclesiasticus,
ed. Denifle, Archiv f. Literatur- und Kirchengesch. d. Mittelalt. II, pag. 592);
vgl. ferner pag. 593, 24 des gleichen Werkes; ferner aus dem Prooemium zum
Opus propositionum: „Deut. 6: ‘Deus unus est’, ut sic disRnguatur littera:
Deus est unus. Ad hoc facit, quod Proclus et Liber de Causis frequenter et
nomine unius aut unitatis Deum exprimunt; preterea li unum est negatio
negationis . . .“ (ed. cit. p. 543, 12 sq.); außerdem p. 545, 3 und 546, 18 ibid.
Unter den deutschen Predigte)! ist bes. zu vgl. Pred. 100, p. 322, 13 sqq.,
ed. Pfeiffer. Denifle weist darauf hin (op. cit. p. 442), daß Thomas für „unum“
eine ähnliche Formel kenne; da diese aber bei Thomas nur im Zusammenhang
Raymond Klibansky:
nides verwendet1, so beruht die Möglichkeit dieser Anwendung-
ebenso wie der Zusammenhang, in den sie gestellt ist, auf der Deu-
tung des Proklos.
Und wenn wir berechtigt sind, zwei verschiedene Anwendungs-
weisen der negativen Theologie zu unterscheiden — die eine, die
in der Verneinung aller geschöpflichen und gedanklichen Bestim-
mungen von Gott den Weg für das Verlangen des Gemüts sieht,,
das entbildete und entselbstete Geschöpf mit dem göttlichen Ur-
grund wieder eins werden zu lassen, die andere, in der die Sehnsucht
nach der mystischen Einung die Vernunft als Zeugin aufruft und
in einem spekulativen System Rechtfertigung sucht —: so wird es
uns als ein Kennzeichen dieser zweiten Art erscheinen, daß sie die
Verneinung selbst als Akt des Verstandes erkennt, als vorläufige
Setzung, die ihrerseits wieder verneint werden muß, um für die
Unsagbarkeit und Undenkbarkeit Gottes eine Formel zu finden.
Wenn so Meister Eckhart in seinen lateinischen Schriften wieder-
holt in solch entscheidender Weise die negatio negationis als
Ausdruck für Einheit und Wesen Gottes faßt2, wenn für Cusanus
1 De Divin. Nomin. I, 5 (Dionysii Opera, Patrol. Graec. ed. Migne tom.
III, Paris 1889, col. 593): ,,εί [seil, ή υπερούσιος άκτίς] κρείττων έστί παντός
λόγου και πάσης γνώσεως και ύπέρ νοΰν καθόλου και ουσίαν ϊδρυται . . . καί ούτε
αΐσθησις αυτής έστιν ούτε φαντασία οΰτε δόξα ούτε ονομα ούτε λόγος ούτε επαφή ούτε
έπιστήμη, πώς ό περί θείων ονομάτων ήμΐν διαπραγματευθήσεται λόγος, άκλήτου
καί ύπερωνύμου τής υπερουσίου θεότητος άποδεικνυμένης[vgl. ferner ibid. XIII, 3].
Dieser in neuerer Zeit nicht beachtete Zusammenhang muß Cusanus vorge-
schwebt haben, wenn er in der Apologia sagt, fol 36r: „divinus Plato in Par-
menide tali modo in Deum conatus est viam pandere, quem adeo divinus
Dionysius imitatus est, ut saepius Platonis verba seriatim posuisse reperia-
tur“. (Wegen dieser Behauptung erhält er den Tadel seines Freundes, des
Karthäusers Dionysius [s. Dionysii Opera comment. Dionysii a Rikel eluc.,
Köln 1556, p. 842]). Ebenso Bessarion, In Calumn. Platon. II 3 und I 7, ed.
Aldin. s. a., fol. 14r und llr.
2 ,,. . . in ipso Deo nullum prorsus locum habet negatio; est enim, qui
est, et unus est, quod est negatio negationis.“ (Kommentar zum Ecclesiasticus,
ed. Denifle, Archiv f. Literatur- und Kirchengesch. d. Mittelalt. II, pag. 592);
vgl. ferner pag. 593, 24 des gleichen Werkes; ferner aus dem Prooemium zum
Opus propositionum: „Deut. 6: ‘Deus unus est’, ut sic disRnguatur littera:
Deus est unus. Ad hoc facit, quod Proclus et Liber de Causis frequenter et
nomine unius aut unitatis Deum exprimunt; preterea li unum est negatio
negationis . . .“ (ed. cit. p. 543, 12 sq.); außerdem p. 545, 3 und 546, 18 ibid.
Unter den deutschen Predigte)! ist bes. zu vgl. Pred. 100, p. 322, 13 sqq.,
ed. Pfeiffer. Denifle weist darauf hin (op. cit. p. 442), daß Thomas für „unum“
eine ähnliche Formel kenne; da diese aber bei Thomas nur im Zusammenhang