16
Raymond Klibansky:
denden PROKLOs-Textes um so dringlicher ist, als die Editionen
sich nur auf 4 Pariser Handschriften stützen1 und mindestens
16 weitere griechische Handschriften, die sich namhaft machen
ließen, nicht berücksichtigen. Selbst jene Fälschung der Renais-
sance, die als 'Metaphysik des Herennios’, des Mitschülers
Plotins, bekannt ist2, gibt für die in ihr enthaltenen Teile des
Parmenides-Kommentares oft einen besseren Text als die Ausgaben
des neunzehnten Jahrhunderts3. —■ Zwar weist die Übersetzung
nicht selten Lücken auf, durch die angedeutet ist, daß ein griechi-
scher Ausdruck nicht verstanden wurde4—manchmal hilft sich der
Übersetzer, indem er ein schwieriges griechisches Wort lediglich
transkribiert5 —, zwar ist sie nicht frei von Fehlern der ver-
schiedensten Art6: dennoch bietet sie häufig gegenüber den Aus-
gaben den eindeutig besseren Text und ist auch innerhalb des schon
Bekannten vollständiger7.
1 Wenn Cousin (und mit ihm Chaignet u. a.) von handschriftlich er-
haltenen „Fragmenten einer latein. Übersetzung des Antonius Gogava“
spricht, die er für seinen Text heranzieht, so ist dies in dieser Form un-
richtig. Die betreffende Handschrift, cod. Vindob. lat. 10 414 (XVI., nicht
— wie der Wiener Katalog angibt — XV. saec.), gibt nicht eine eigentliche
Übersetzung, sondern eine ausführliche, dem Text folgende Paraphrase aus
dem XVI. Jahrhundert, aus der für die Herstellung des Textes wenig zu ent-
nehmen ist, da das Original kaum von den Cousinschen Handschriften abwich;
auch in der Ausdehnung des von ihr umfaßten Textes entspricht sie diesen.
Daß Gogava, der Übersetzer des Alkibiades-Kommentars, diese Paraphrase
angefertigt habe, ist nicht erweislich.
2 Als ‘Comment. ad Metaphys. Aristot.’ hg. von Angelo Mai, Class.
auct. tom. IX, Rom 1837; vgl. E. Heitz, Die angebl. Metaphys. d. Herennios,
S.-B. d. Berlin. Akad. 1889.
3 Unter diesen verdient die Cousinsche den Vorzug. Stallbaum läßt,
unbekümmert um den Gedankenzusammenhang, durch Homoioteleuton ver-
führt, wichtige Sätze aus, so p. 872 und 871 seiner Ausg.!
4 Etwa ώδίς pag. 1115, 32 Cousin.
5 Etwa θεοθρέμμων = deothremmon, σειρά = seira; Transkription
schwieriger Worte sehr häufig auch in Wilhelm von Moerbekes Übersetzung
der Aristotelischen Rhetorik (Aristot. Ars Rhetorica cum vetust. translat., ed.
Spengel, 1867, pag. 165) und der Tiergeschichte (vgl. Rudberg, Textstud. z.
Tiergesch. d. Aristot., Upsala 1908, pag. 32sq.).
6 Darunter einige sehr charakteristische und für das Bild des Ganzen
nicht unwesentliche; so wenn der Aristoteles des Dialogs „τον των τριάκοντα
γενόμενον“ (pag. 127d), „der später einer der Dreißig [Tyrannen] wurde“,
im Lateinischen als „Aristotelem 30 annorum entern“, also als der 30 Jahre
alte Philosoph erscheint.
7 So mindestens an einer Stelle ein Mehr von einigen interessanten
Sätzen: zu pag. 696 Cousin.
Raymond Klibansky:
denden PROKLOs-Textes um so dringlicher ist, als die Editionen
sich nur auf 4 Pariser Handschriften stützen1 und mindestens
16 weitere griechische Handschriften, die sich namhaft machen
ließen, nicht berücksichtigen. Selbst jene Fälschung der Renais-
sance, die als 'Metaphysik des Herennios’, des Mitschülers
Plotins, bekannt ist2, gibt für die in ihr enthaltenen Teile des
Parmenides-Kommentares oft einen besseren Text als die Ausgaben
des neunzehnten Jahrhunderts3. —■ Zwar weist die Übersetzung
nicht selten Lücken auf, durch die angedeutet ist, daß ein griechi-
scher Ausdruck nicht verstanden wurde4—manchmal hilft sich der
Übersetzer, indem er ein schwieriges griechisches Wort lediglich
transkribiert5 —, zwar ist sie nicht frei von Fehlern der ver-
schiedensten Art6: dennoch bietet sie häufig gegenüber den Aus-
gaben den eindeutig besseren Text und ist auch innerhalb des schon
Bekannten vollständiger7.
1 Wenn Cousin (und mit ihm Chaignet u. a.) von handschriftlich er-
haltenen „Fragmenten einer latein. Übersetzung des Antonius Gogava“
spricht, die er für seinen Text heranzieht, so ist dies in dieser Form un-
richtig. Die betreffende Handschrift, cod. Vindob. lat. 10 414 (XVI., nicht
— wie der Wiener Katalog angibt — XV. saec.), gibt nicht eine eigentliche
Übersetzung, sondern eine ausführliche, dem Text folgende Paraphrase aus
dem XVI. Jahrhundert, aus der für die Herstellung des Textes wenig zu ent-
nehmen ist, da das Original kaum von den Cousinschen Handschriften abwich;
auch in der Ausdehnung des von ihr umfaßten Textes entspricht sie diesen.
Daß Gogava, der Übersetzer des Alkibiades-Kommentars, diese Paraphrase
angefertigt habe, ist nicht erweislich.
2 Als ‘Comment. ad Metaphys. Aristot.’ hg. von Angelo Mai, Class.
auct. tom. IX, Rom 1837; vgl. E. Heitz, Die angebl. Metaphys. d. Herennios,
S.-B. d. Berlin. Akad. 1889.
3 Unter diesen verdient die Cousinsche den Vorzug. Stallbaum läßt,
unbekümmert um den Gedankenzusammenhang, durch Homoioteleuton ver-
führt, wichtige Sätze aus, so p. 872 und 871 seiner Ausg.!
4 Etwa ώδίς pag. 1115, 32 Cousin.
5 Etwa θεοθρέμμων = deothremmon, σειρά = seira; Transkription
schwieriger Worte sehr häufig auch in Wilhelm von Moerbekes Übersetzung
der Aristotelischen Rhetorik (Aristot. Ars Rhetorica cum vetust. translat., ed.
Spengel, 1867, pag. 165) und der Tiergeschichte (vgl. Rudberg, Textstud. z.
Tiergesch. d. Aristot., Upsala 1908, pag. 32sq.).
6 Darunter einige sehr charakteristische und für das Bild des Ganzen
nicht unwesentliche; so wenn der Aristoteles des Dialogs „τον των τριάκοντα
γενόμενον“ (pag. 127d), „der später einer der Dreißig [Tyrannen] wurde“,
im Lateinischen als „Aristotelem 30 annorum entern“, also als der 30 Jahre
alte Philosoph erscheint.
7 So mindestens an einer Stelle ein Mehr von einigen interessanten
Sätzen: zu pag. 696 Cousin.