Studien zur Kirchen- und Reichsreform des 15. Jahrhunderts.
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Schlüsse. Aus dem allgemeinen staatsphilosophischen Grundsatz:
nur der Legislator humanus tibt Zwangsgewalt, ergibt sich ohne
Ausnahme und zeitlos die bloß kaiserliche Konzilsberufung. Das
paßte einmal nicht zu Dietrichs praktischer Meinung, die das
geltende Recht im normalen Leben der Kirche bestehen ließ; er
wollte ja praktisch darauf hinaus, daß der Papst nur in Notfällen
die Konzilsberufung abgeben müsse; und daß der Papst das auch
ohne Bedenken könne, das suchte er theoretisch darzutun durch
den der marsilianischen Primatslehre entnommenen Nachweis, daß
die Berufung nicht ein originäres päpstliches Recht sei. Wenn er
sie mit den Worten des Marsilius als Usurpation bezeichnete, so
kam es ihm, bei seinem praktischen Konservativismus, nicht so
auf das Berufungsrecht im allgemeinen an, als auf den Anspruch
auf das alleinige Berufungsrecht. Daß der Papst das Konzil beruft,
ist eine geduldete Gewohnheit, die man nicht allgemein zu besei-
tigen braucht, die aber erlöschen kann und dann an ihren Aus-
gangspunkt zurückgeht, an die kaiserliche Gewalt. Das philo-
sophische Argument wird bei Dietrich zum historischen, aber nun
doch auch nicht zur bloßen geschichtlichen Reminiszenz. Die
Meinung ist: Das Recht kann an seinen Urheber zurückfallen. Aber
der Urheber ist der Kaiser nicht deswegen, weil der Legislator
humanus, allein im Besitze der Zwangsgewalt, diese der Kirche
oder dem Papste delegiert hätte (das wird ja gerade mit den Worten
des Marsilius bestritten), sondern, so kann man die Worte Dietrichs
ergänzen, weil Konstantin die Macht hatte, die Zusammenkünfte
der Christen zu hindern — die Kirche verdankt es dem getauften
Konstantin, daß die Konzilien überhaupt ihren Anfang haben
nehmen können. Dietrich fühlt hier innerhalb der verbreiteten
Vorstellung von der Kirche, die man kurz die eigenkirchliche nennen
mag; es ist im Grunde dasselbe Gefühl, das ihn schon in der Chronik
(1399) sagen läßt, der Kaiser als Advocatus ecclesiae habe doch ein
Recht, im Falle des Schismas das Konzil zu berufen, nachdem er
der Kirche so viel geschenkt und sie so oft verteidigt habe1. Das
Mittelalter hat eben gedanklich nur die drei Möglichkeiten für die
Stellung des Staates zur Kirche hervorgebracht: da es die Trennung
1 Chronik, Ausgabe von Mulder, Dietrich von Nieheim (Amsterdam
1907) 61, und Sauerland, MJÖG. 6, 599: Der Kaiser ist am besten zur
Berufung geeignet, tum propter excellendam status sui, tum propter poten-
ciam imperialem, qua prefulget omnibus regibus Christianis, tum quia advo-
catus est ecclesie . . . Nam ab imperio Romana ecclesia dotata extitit usw.
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Schlüsse. Aus dem allgemeinen staatsphilosophischen Grundsatz:
nur der Legislator humanus tibt Zwangsgewalt, ergibt sich ohne
Ausnahme und zeitlos die bloß kaiserliche Konzilsberufung. Das
paßte einmal nicht zu Dietrichs praktischer Meinung, die das
geltende Recht im normalen Leben der Kirche bestehen ließ; er
wollte ja praktisch darauf hinaus, daß der Papst nur in Notfällen
die Konzilsberufung abgeben müsse; und daß der Papst das auch
ohne Bedenken könne, das suchte er theoretisch darzutun durch
den der marsilianischen Primatslehre entnommenen Nachweis, daß
die Berufung nicht ein originäres päpstliches Recht sei. Wenn er
sie mit den Worten des Marsilius als Usurpation bezeichnete, so
kam es ihm, bei seinem praktischen Konservativismus, nicht so
auf das Berufungsrecht im allgemeinen an, als auf den Anspruch
auf das alleinige Berufungsrecht. Daß der Papst das Konzil beruft,
ist eine geduldete Gewohnheit, die man nicht allgemein zu besei-
tigen braucht, die aber erlöschen kann und dann an ihren Aus-
gangspunkt zurückgeht, an die kaiserliche Gewalt. Das philo-
sophische Argument wird bei Dietrich zum historischen, aber nun
doch auch nicht zur bloßen geschichtlichen Reminiszenz. Die
Meinung ist: Das Recht kann an seinen Urheber zurückfallen. Aber
der Urheber ist der Kaiser nicht deswegen, weil der Legislator
humanus, allein im Besitze der Zwangsgewalt, diese der Kirche
oder dem Papste delegiert hätte (das wird ja gerade mit den Worten
des Marsilius bestritten), sondern, so kann man die Worte Dietrichs
ergänzen, weil Konstantin die Macht hatte, die Zusammenkünfte
der Christen zu hindern — die Kirche verdankt es dem getauften
Konstantin, daß die Konzilien überhaupt ihren Anfang haben
nehmen können. Dietrich fühlt hier innerhalb der verbreiteten
Vorstellung von der Kirche, die man kurz die eigenkirchliche nennen
mag; es ist im Grunde dasselbe Gefühl, das ihn schon in der Chronik
(1399) sagen läßt, der Kaiser als Advocatus ecclesiae habe doch ein
Recht, im Falle des Schismas das Konzil zu berufen, nachdem er
der Kirche so viel geschenkt und sie so oft verteidigt habe1. Das
Mittelalter hat eben gedanklich nur die drei Möglichkeiten für die
Stellung des Staates zur Kirche hervorgebracht: da es die Trennung
1 Chronik, Ausgabe von Mulder, Dietrich von Nieheim (Amsterdam
1907) 61, und Sauerland, MJÖG. 6, 599: Der Kaiser ist am besten zur
Berufung geeignet, tum propter excellendam status sui, tum propter poten-
ciam imperialem, qua prefulget omnibus regibus Christianis, tum quia advo-
catus est ecclesie . . . Nam ab imperio Romana ecclesia dotata extitit usw.