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Hoffmann, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1929/30, 3. Abhandlung): Das Universum des Nikolaus von Cues — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.39956#0010
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10

Ernst Hoffmann.

so fallen für die Wissenschaft, für das rational-relationale Denken
alle jenen Zwischenglieder mit, welche vermöge dieser Logik als
Übergangsstufen zwischen dem Endlichen und Unendlichen an-
gesetzt sind. Es fällt die logische Grundlage für jene Hierarchie
des Universums, die der Areopapt begründet hatte, indem er von
dem Über-Sein Gottes bis zur Welt den stetigen Weg einer Ver-
mittlung durch himmlische, engelische und kirchliche Hierarchien
konstruiert hatte. Es fällt logisch, d. h. als der logischen Begrün-
dung zugänglich, die ganze Divisio naturae des Eriugena, der vom
ungeschaffenen, aber schaffenden Gott über die sowohl geschaffene
wie schaffende Natur zu den bloß geschaffenen, aber nicht schaf-
fenden Dingen und schließlich zu dem weder schaffenden noch
geschaffenen Nichts in scheinbar strenger logischer Proportion den
Weg zurückgelegt hatte. Es gibt eben "keine Proportion zwischen
Finitem und Infinitem’. Es fällt logisch alles, was Stufenkosmos1
der Hochscholastik heißt: Die Jakobsleiter, welche das Erlösungs-
bedürfnis der christlichen Seele zwischen 'Himmel’ und 'Erde’
auf gerichtet hatte, sie ist mit logischen Hilfen nicht zu halten.
Damit ist für Cusanus gegen Jakobsleiter und Hierarchie gar
nichts gesagt; wohl aber gegen die Schullogik, welche diese Stufung
als rational erweislich und logisch notwendig hinstellte. Angetastet
ist nicht die Kirche, sondern ein, freilich grundlegendes, Motiv der
kirchlichen Philosophie. Lind aus der neuen Logik ergeben sich
bei Cusanus selber bereits Schlußfolgerungen, die den Stoff zu
späteren Konflikten in sich bergen. Das für die Kirche wichtige
Dogma, daß die Erde im Mittelpunkt der Welt und ihrer konzen-
trischen Schalen ruhe, wagt Cusanus als logisch absurd anzugreifen:
das grenzenlose Universum kann gar keinen Mittelpunkt haben, er
wäre etwas Absolutes in der Welt des Relativen; absoluter Mittel-
punkt könnte nur Gott sein —aber im metaphysischen Sinne, d. h.
in demselben Sinne, in dem er auch Peripherie wäre; ist er doch der
Ort der Koinzidenz. Räumlich sind wir überall und nirgends im
Mittelpunkt der Welt. Desgleichen ist für Cusanus wie mit einem
Schlage abgetan die Auffassung, die Erde sei ein unvollkommener,

1 Genauer gesagt: Diejenige Stufung, welche Cusanus annimmt, ist ledig-
lich auf das Individuationsprinzip gegründet und hat nichts mehr zu tun mit
Wertstufung: Qua propter universa ab invicem gradibus distinguuntur, ut
nullum cum alio coincidat. . . Omne igitur contractum, cum possit esse minus
aut [so die Hss.; die Drucke falsch et] magis contractum, terminum non
attingit neque universi neque generis neque speciei. D. ign. III, 1.
 
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