Metadaten

Rickert, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 1. Abhandlung): Die Logik des Prädikats und das Problem der Ontologie — Heidelberg, 1930

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.40152#0030
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
22

Einleitung.

gehen so weit, jede ,,diskursive“, begriffliche Gestaltung und Be-
arbeitung des unmittelbar gegebenen oder „geschauten“ Erkennt-
nisstoffes geradezu für eine Fälschung des wahrhaft Seienden zu
halten.
Bedeutet nicht schon ein solcher Glaube an die alleinseelig-
machende „Anschauung“ oder an die Selb st Offenbarung der Welt
für den sich ihr hingebenden „Blick“, zumal im Gebiet der Onto-
logie, einen verhängnisvollen Irrtum und einen Rückfall in den
vorkantischen „Dogmatismus“ ? Muß daher nicht bereits mit Rück-
sicht auf solche Bestrebungen gesagt werden, daß die Metaphysik
heute bisweilen die Logik in unwissenschaftlicher Weise ver-
nachlässigt ?
Es ist nicht die Aufgabe der folgenden Blätter, das Problem
des Verhältnisses von Erkenntnistheorie und Metaphysik in seinem
ganzen Umfang zu erörtern, sondern es soll nur ein spezieller
Punkt herausgegriffen werden, der den engen Zusammenhang von
Logik und Ontologie erkennen läßt, und der zeigt, wie bedenklich
es ist, wenn man gerade bei einer Lehre vom „Sein der Welt“
glaubt, ohne eine logische oder erkenntnistheoretische Grund-
legung wissenschaftlich etwas leisten zu können.
In Kürze und vorläufig versuchen wir, den Zusammenhang
der Probleme etwa so zum Bewußtsein zu bringen.
Ontologie heißt, wörtlich übersetzt, nicht so sehr die Lehre
vom „Sein“ als vielmehr vom „Seienden“: Onto-Logie. Wer
diese Wissenschaft treibt, setzt, auch abgesehen von ihrem Namen,
voraus, daß er das Recht habe, irgend etwas „seiend“ zu nennen
oder genauer dem, was in einem Satz mit dem Subj ektswort be-
zeichnet wird, das Prädikat „Sein“ beizulegen. Die Frage liegt
nahe: ist „das Sein“ in der Wissenschaft nicht stets Prädikat und
dementsprechend „das Seiende“ nicht immer zum mindesten schon
das als „seiend“ prädizierte ? Oder was bedeutet das Wort
„Sein“ sonst, wenn es nicht Prädikat ist? Was heißt es dann,
wenn wir Ontologie als Wissenschaft vom Seienden treiben und
dabei die Welt als Ganzes oder auch nur irgend einen Teil von ihr
„seiend“ nennen ? Kurz: was heißt „das Sein der Welt?“
Das sind berechtigte Fragen, die sich jedem aufdrängen müssen,
der „das Sein“ von „dem Seienden“ scheidet, und sie gehören,
jedenfalls zunächst, zu den Problemen der Logik. Ja, nur diese
Disziplin kann, als Wissenschaft vom Wesen des wahren Er-
kennens überhaupt, darüber Auskunft geben, welche Rolle der Be-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften