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Rickert, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 1. Abhandlung): Die Logik des Prädikats und das Problem der Ontologie — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.40152#0054
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Erster logischer Teil.

sozusagen den Stier bei den Hörnern. Ja der wahre Satz ist das
einzige sinnlich greifbare Gebilde, bei dem die Logik ihr Problem
der Wahrheit anpacken kann.
Ein paar Beispiele mögen die Bedeutung, welche gerade eine
Logik des Satzes in dieser Hinsicht für die eigentliche „Grund-
legung“ jeder Philosophie besitzt, noch etwas näher bringen. Wir
stellten schon das Problem: läßt die Welt sich „intuitiv“ erkennen ?
Es ist vielleicht schwer, auf diese Frage eine Antwort zu geben,
so lange sie in solcher Allgemeinheit gestellt wird. Gewiß müssen
wir das, was wir erkennen wollen, zuerst einmal „angeschaut“ oder
intuitiv erfaßt haben, und dann kann man vielleicht meinen, daß
mit einer vorurteilslosen Anschauung, die das anzuschauende ohne
Konstruktion treu oder rein so erfaßt, wie es selbst sich darbietet,
bereits alles Wesentliches geleistet sei. Stellen wir dagegen die
Frage: läßt sich die Welt mit Hilfe von Sätzen intuitiv erfassen ?
dann befinden wir uns sogleich in einer anderen Situation. Dann
wird die Frage brennend: geben wahre Sätze jemals nur An-
schauungen, oder führen sie nicht vielmehr notwendig über jede
Intuition weit hinaus ? Ist es also denkbar, daß eine Wissenschaft,
die sich stets in Sätzen aufbaut, nicht auch andere als anschauliche
und trotzdem für die Wahrheit ihrer Sätze unentbehrliche Bestand-
teile enthält ? Oder ist etwa alles, was der Satz an logischem Gehalt
zur Anschauung hinzufügt, für die Wahrheit der Erkenntnis
unwesentlich ? Nur durch eine Logik des Satzes bekommt man
hierauf eine wissenschaftlich begründete Antwort.
Oder, um nicht bei dieser besonderen, schon einmal erwähnten
Problemstellung zu bleiben: ist von der Wissenschaft die Aufgabe
lösbar, die ihr z. B. Hegel stellt? Kann wissenschaftliche
Philosophie jemals etwas anderes als „Beflexionsphilosophie“ sein ?
Wird nicht vielmehr jede Philosophie, die in Sätzen ihren Ausdruck
findet, also jede wissenschaftliche Philosophie überhaupt, not-
wendig, wie Hegel sagen müßte, „Beflexionsphilosophie“? Was
hat die Wahrheit, wie ein Satz sie allein geben kann, mit dem
„Absoluten“ im Sinne Hegels zu tun ? Läßt das, was Hegel für
„Wahrheit“ hält, sich irgendwie in Worten sagen? Und wenn
nicht, was geht eine solche „Wahrheit“ die Wissenschaft an ? Auch
darüber kann nur eine Logik des Satzes Auskunft geben1.
1 In seinem Werk über „Hegel“ (1929) hat Hermann Glöckner mit
gutem Grunde schon in der Einleitung Hegels Sprache behandelt. Sie ist
in der Tat von entscheidender Wichtigkeit für die Erreichbarkeit des Zieles,
 
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