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Rickert, Heinrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 1. Abhandlung): Die Logik des Prädikats und das Problem der Ontologie — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.40152#0209
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X. Sein und Nichts.

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seiend“ denkbar? Dann wäre schon die sprachliche Substanti-
vierung „das Nichts“ ein logischer Unsinn. Das damit voraus-
gesetzte „Etwas“ ist, und es ist nicht.
Die Schwierigkeiten, auf die wir hier stoßen, sind in anderer
Formulierung längst bemerkt worden, und sie haben bei Hegel
dazu geführt, das Sein mit dem Nichts zu identifizieren. Damit
konnte Hegel schon bei dem allgemeinsten Begriff des Seins und
bei seinem Verhältnis zu dem des Nichts den Nachweis versuchen,
daß das Denken notwendig „dialektisch“ werden, d. h. in Wider-
sprüche geraten, genauer zu Behauptungen kommen müsse, von
denen die eine bejaht, was die andere verneint, und daß trotzdem
beide Behauptungen irgendwie miteinander vereinbar seien.
Wir gehen auf die Schwierigkeiten, wie sie sich bei Hegel und
bei andern Denkern gestaltet haben, erst später ein, und suchen auf
Grund unserer früheren Ausführungen vorläufig nur zu zeigen, wie
sich das „Nichts“ ohne jeden Widerspruch auch zum Subjekt
eines wahren Satzes machen läßt, sobald wir nur wieder ausdrück-
lich daran denken, daß das Wort „sein“ zweideutig ist, d. h.
sowohl eine bloße Denkform als auch eine Erkenntnisform bedeuten
kann. Eine dementsprechende Zweideutigkeit haftet auch dem
Ausdruck „nichts“ als nicht-sein an, und wenn man darüber Klar-
heit hat, schwindet sogleich jede „Dialektik“, d. h. jeder Wider-
spruch, wie das immer dort der Fall ist, wo die scheinbar not-
wendige Bejahung oder Verneinung desselben Sinnes durch zwei
verschiedene Bedeutungen desselben Wort es entsteht. Dann wird
nämlich nur die eine Bedeutung verneint, die andere bejaht.
Darauf beruht das „Geheimnis“ der Dialektik. Wer es durchschaut
hat, wird den „Widerspruch“ als Denkprinzip ebenso anerkennen,
wie als Erkenntnisprinzip ablehnen.
Hier ist zu sagen: die allgemeinste Den kform des Seins können
wir allerdings keinem Etwas absprechen, denn um etwas denken
zu können, müssen wir voraussetzen, daß es im Sinne der allgemein-
sten Denkform „ist“. Insofern ist von einem Nicht-Etwas oder
Nichts als dem Subjekt (u-rcoxelfxsvov) eines wahren Sinngebildes
zu reden, in der Tat widersinnig. Nichts ist nur Prädikat, d. h.
nur Verneinüng, solange wir beim bloßen „Denken“ bleiben. Trotz-
dem behält das Wort „nichts“ seinen guten Sinn auch als Subjekt
eines wahren Satzes, denn wir können einem als „seiend“ nur ge-
dachten Etwas sehr wohl jede Erkenntnisform des Seins ab-
sprechen, also z. B. sagen: Nichts „ist“ zwar, aber es „existiert“
 
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