Seckendorffs Lucan.
9
Die eigentlichen Poeten, d. h. berufs- und gewerbsmäßige
Redemeister, die sich wie Rachel (1677) am Juvenal oder wie
Johann Samuel Adami (Dresden 1674) oder dessen Gottsche-
dianischer Nachfolger und Tadler Johann Daniel Heyde
(Leipzig 1738) am Persius versuchten, wollten auch und eben die
„Schönheiten“, nach dem jeweiligen Salongeschmack, über die
Begriffsrichtigkeit hinaus, eindeutschen.
Seckendorff schwankte seiner Herkunft und Hinkunft nach,
als Geehrter und Gelehrter, zwischen der Vershörigkeit und dem
Unterrichtsbedarf. Und Morhof ist wahrscheinlich gegen ihn ge-
fällig genug gewesen, um seine Neuerung aus der bestimmten Lage
zu begreifen — zumal sie ihm ja keine Verantwortung aufbürdete.
Den ganzen Lucan, den schwersten lateinischen Poeten, auf Reise-
polstern und Herbergsmatratzen durchzureimen, ging über Secken-
dorffs Vermögen. Doch da er nicht eigens für den Unterricht,
sondern für die „anmutige Gelehrsamkeit“ zur Rekreation schrieb,
mochte er auf den Vers nicht verzichten und hatte im Ohr den
Feierklang der reimlosen Hexameter . . im Aug und in der Hand,
ja in den Knochen den bedächtigen Stelzgang des Alexandriners.
Sein reimloser Zweischenkler kommt also nicht aus dem Vorsatz,
ein neues Versmaß zum Ruhm des deutschen Parnaß einzuführen,
wie der Pegnitzschäfer Daktylen und Anapäste und Figuren-
gedichte, sondern er machte aus einer metrischen Not verschämt
eine Tugend, die zugleich als Reiz wirken konnte. Daß er dar-
über sich nicht völlig klar ward und deshalb nicht den rechten
Mut zu einer breiten Theorie des reimlosen Alexandriners fand,
daß er Morhof vorschob, ohne nach Gepflogenheit der Poeten
seinen Fund kritisch hinauszugackern, liegt eben an seiner Zwitter-
stellung selbst. Über eine Spezialfrage deutscher Poeterei im Stil
der Zesen und Schottel mitzureden stand ihm als einem adligen
Gönner nicht an. Aber er war doch auch zu sehr Professor, um mit
seinem gelegentlichen Erfolg auf dem eigensten Gebiet der Poeten
zurückzuhalten, und er blinzelte von seiner freiherrlichen Läßlich-
keit des Nichtreimens selbstgefällig auf seine magistrale Gewissen-
haftigkeit im Skandieren.
Übrigens schieden sich schon in der Gesamtanlage von Secken-
dorffs Buch der politisch-moralische Lehrstoff und der rhetorisch-
poetische Zierstoff. Die Diskurse über „auserlesene lehrreiche
Sprüche“ Lucans ließen die eigentliche Verdeutschung der Hexa-
meter freier von dem erläuternden Kommentar, den die Dol-
9
Die eigentlichen Poeten, d. h. berufs- und gewerbsmäßige
Redemeister, die sich wie Rachel (1677) am Juvenal oder wie
Johann Samuel Adami (Dresden 1674) oder dessen Gottsche-
dianischer Nachfolger und Tadler Johann Daniel Heyde
(Leipzig 1738) am Persius versuchten, wollten auch und eben die
„Schönheiten“, nach dem jeweiligen Salongeschmack, über die
Begriffsrichtigkeit hinaus, eindeutschen.
Seckendorff schwankte seiner Herkunft und Hinkunft nach,
als Geehrter und Gelehrter, zwischen der Vershörigkeit und dem
Unterrichtsbedarf. Und Morhof ist wahrscheinlich gegen ihn ge-
fällig genug gewesen, um seine Neuerung aus der bestimmten Lage
zu begreifen — zumal sie ihm ja keine Verantwortung aufbürdete.
Den ganzen Lucan, den schwersten lateinischen Poeten, auf Reise-
polstern und Herbergsmatratzen durchzureimen, ging über Secken-
dorffs Vermögen. Doch da er nicht eigens für den Unterricht,
sondern für die „anmutige Gelehrsamkeit“ zur Rekreation schrieb,
mochte er auf den Vers nicht verzichten und hatte im Ohr den
Feierklang der reimlosen Hexameter . . im Aug und in der Hand,
ja in den Knochen den bedächtigen Stelzgang des Alexandriners.
Sein reimloser Zweischenkler kommt also nicht aus dem Vorsatz,
ein neues Versmaß zum Ruhm des deutschen Parnaß einzuführen,
wie der Pegnitzschäfer Daktylen und Anapäste und Figuren-
gedichte, sondern er machte aus einer metrischen Not verschämt
eine Tugend, die zugleich als Reiz wirken konnte. Daß er dar-
über sich nicht völlig klar ward und deshalb nicht den rechten
Mut zu einer breiten Theorie des reimlosen Alexandriners fand,
daß er Morhof vorschob, ohne nach Gepflogenheit der Poeten
seinen Fund kritisch hinauszugackern, liegt eben an seiner Zwitter-
stellung selbst. Über eine Spezialfrage deutscher Poeterei im Stil
der Zesen und Schottel mitzureden stand ihm als einem adligen
Gönner nicht an. Aber er war doch auch zu sehr Professor, um mit
seinem gelegentlichen Erfolg auf dem eigensten Gebiet der Poeten
zurückzuhalten, und er blinzelte von seiner freiherrlichen Läßlich-
keit des Nichtreimens selbstgefällig auf seine magistrale Gewissen-
haftigkeit im Skandieren.
Übrigens schieden sich schon in der Gesamtanlage von Secken-
dorffs Buch der politisch-moralische Lehrstoff und der rhetorisch-
poetische Zierstoff. Die Diskurse über „auserlesene lehrreiche
Sprüche“ Lucans ließen die eigentliche Verdeutschung der Hexa-
meter freier von dem erläuternden Kommentar, den die Dol-