Die römische Kapitalstrafe.
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man sich im Volk die aus einer causa capitis entspringende Strafe
überhaupt nur noch als Verbannung vorzustellen begann.1 Der
caput-Begriff' erweiterte sich so mit innerer Notwendigkeit, und
eine übertreibende Rhetorik2 vermochte im Einklang mit dem vul-
gären Sprachgebrauch3 sogar die Minderung bürgerlicher Ehren-
rechte in ihn einzubeziehen. Da erfüllte sich die Zeit auch für den
Gesetzgeber. Wer den ersten Schritt tat, ist unbekannt. Vielleicht
war es Cicero in Person.4 Er, der noch im Jahre 69 hervorhebt,
daß keine römische Lex das Exil als Strafe kennt, charakterisiert sein
Ambitus-Gesetz v. J. 63 dahin: me mea lege exsilio ambitum sanxisse (p.
Plane. 83 [a. 54]); quem nova poena legis et domo et parente et omnium
suorum consüetudine conspectuque privat (p. Murena 89 [a. 63]). Diese
präzisen Aussprüche5 im Verein mit der durch Dio Cass. 37, 29, 1 be-
richteten Exildauer von zehn Jahren stellen es außer Zweifel, daß die
Lex Tullia de ambitu selbst es war, die die Strafe bestimmte und
bezifferte.6 Mit einer solchen Sanktion vollzog sich die ent-
scheidende Wendung, nach Römerart beinahe unmerklich und fast
nur dem Juristenauge erkennbar. Nicht mehr die Todesstrafe mit
einer durch die Interdiktion recht nachdrücklich nahegelegten Ab-
wendungsbefugnis, sondern die Verbannung, die bei Ungehorsam
oder Bannbruch das Leben kostete, war hier die poena legitima.
Praktisch tat sich die Änderung darin kund, daß der Magistrat die
1 S. o. S. 22 ff.
2 Vgl. Mommsen 9076, zweifelnd Coli (ob. S. 63) 614; nicht zutreffend Radin,
Melanges Paul Fournier (1929) 655 ff., Cuq, Rev. hist. 9, 4061.
3 Vgl. Mod. D. 50, 16, 108, dessen Beweiskraft durch Colis Bemerkung
(aaO.) m. E. nicht herabgesetzt ist; dazu u. S. 471. S. auch Corp. gloss. lat. II
97, 18: capitalis cmpoTioiöq.
4 Vgl. insoweit bereits Kleinfeller, RE. VI 1684.
6 Denen sich weniger genaue anreihen lassen: Cic. p. Mur. 45. 47; p.
Plane. 8 und weitere bei Mommsen 8674. 8744, Rotondi, Leges 379 angeführte
Belege.
6 Strachan-Davidson II 66 faßt (wie schon Ferrini, Espos. 423) diese
Strafe als relegatio auf, weil er die zeitliche Beschränkung mit der aq. et i.
interdictio nicht vereinigen zu können glaubt. Die Überlieferung bietet dafür
keinen Anhalt; s. auch u. S. 333. — Ciceros Worte ad ambitionem, quibus ex-
silii poena superioribus legibus non fuisset (ad Att. 9, 14, 2) beziehen sich, so
verstümmelt sie sind, auf das Verhältnis nicht der Lex Tullia, sondern der
Lex Pompeia v. J. 52 zu den früheren Ambitusgesetzen. Vgl. ad Att. 10, 4,
8; Tyrrel-Purser, The correspondence of M. T. Cicero IV 136, Mommsen 8747.
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man sich im Volk die aus einer causa capitis entspringende Strafe
überhaupt nur noch als Verbannung vorzustellen begann.1 Der
caput-Begriff' erweiterte sich so mit innerer Notwendigkeit, und
eine übertreibende Rhetorik2 vermochte im Einklang mit dem vul-
gären Sprachgebrauch3 sogar die Minderung bürgerlicher Ehren-
rechte in ihn einzubeziehen. Da erfüllte sich die Zeit auch für den
Gesetzgeber. Wer den ersten Schritt tat, ist unbekannt. Vielleicht
war es Cicero in Person.4 Er, der noch im Jahre 69 hervorhebt,
daß keine römische Lex das Exil als Strafe kennt, charakterisiert sein
Ambitus-Gesetz v. J. 63 dahin: me mea lege exsilio ambitum sanxisse (p.
Plane. 83 [a. 54]); quem nova poena legis et domo et parente et omnium
suorum consüetudine conspectuque privat (p. Murena 89 [a. 63]). Diese
präzisen Aussprüche5 im Verein mit der durch Dio Cass. 37, 29, 1 be-
richteten Exildauer von zehn Jahren stellen es außer Zweifel, daß die
Lex Tullia de ambitu selbst es war, die die Strafe bestimmte und
bezifferte.6 Mit einer solchen Sanktion vollzog sich die ent-
scheidende Wendung, nach Römerart beinahe unmerklich und fast
nur dem Juristenauge erkennbar. Nicht mehr die Todesstrafe mit
einer durch die Interdiktion recht nachdrücklich nahegelegten Ab-
wendungsbefugnis, sondern die Verbannung, die bei Ungehorsam
oder Bannbruch das Leben kostete, war hier die poena legitima.
Praktisch tat sich die Änderung darin kund, daß der Magistrat die
1 S. o. S. 22 ff.
2 Vgl. Mommsen 9076, zweifelnd Coli (ob. S. 63) 614; nicht zutreffend Radin,
Melanges Paul Fournier (1929) 655 ff., Cuq, Rev. hist. 9, 4061.
3 Vgl. Mod. D. 50, 16, 108, dessen Beweiskraft durch Colis Bemerkung
(aaO.) m. E. nicht herabgesetzt ist; dazu u. S. 471. S. auch Corp. gloss. lat. II
97, 18: capitalis cmpoTioiöq.
4 Vgl. insoweit bereits Kleinfeller, RE. VI 1684.
6 Denen sich weniger genaue anreihen lassen: Cic. p. Mur. 45. 47; p.
Plane. 8 und weitere bei Mommsen 8674. 8744, Rotondi, Leges 379 angeführte
Belege.
6 Strachan-Davidson II 66 faßt (wie schon Ferrini, Espos. 423) diese
Strafe als relegatio auf, weil er die zeitliche Beschränkung mit der aq. et i.
interdictio nicht vereinigen zu können glaubt. Die Überlieferung bietet dafür
keinen Anhalt; s. auch u. S. 333. — Ciceros Worte ad ambitionem, quibus ex-
silii poena superioribus legibus non fuisset (ad Att. 9, 14, 2) beziehen sich, so
verstümmelt sie sind, auf das Verhältnis nicht der Lex Tullia, sondern der
Lex Pompeia v. J. 52 zu den früheren Ambitusgesetzen. Vgl. ad Att. 10, 4,
8; Tyrrel-Purser, The correspondence of M. T. Cicero IV 136, Mommsen 8747.