Scheffels Romanentwurf „Irene von Spilimberg“
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Rahmen bestimmter Örtlichkeit betrachtet wird. Ich ziehe das
kleine Detail dem großen Nebel vor . .“. Studium und Leben hatten
dem Dichter dies ,,Detail“ für sein Werk gereicht; wie scharf
beides gesehen war, beweisen die Zeichnungen, in denen Scheffel
auch das phantasiemäßig Geschaute vor den Kapitelanfängen seiner
Niederschrift zu gestalten bemüht war1.
Der historische Roman war für Scheffel die gegebene Dar-
stellungsart, nicht bloß weil sie dem Deutschland jener Jahrzehnte
in der Nachfolge Scotts eine besonders beliebte Kunstform war,
der auch die Malerei mit zahllosen Historienbildern beitrat. Schef-
fel war für diese Form geboren. Hauff — dessen Georg Sturm-
feder nebenbei gesagt dem Helden unseres Romans, der ebenso
aus akademischen Hörsälen in den Krieg läuft, nicht zufällig ver-
wandt scheint — mochte mit gewohnter Selbstpersiflage den
geschichtlichen Roman als „Hermaphroditen von Kunst und
Wissenschaft“ verspotten. Scheffel war er ein Gefäß, das eigens
geschaffen schien für seine Neigungen und Fähigkeiten. ,,Es hat
in mir,“ so schrieb er gerade Ende 1854 in jener Eingabe, mit
der er sich um die Professur für deutsche Literatur am Züricher
Polytechnikum bewarb, „der Künstler den Juristen durchkreuzt
und, nachdem ich mich in Italien dieses Zwiespalts entledigt und
in der Poesie die Versöhnung gefunden, habe ich mir die Linien
meines weiteren Schaffens dahin gezogen, den Ernst und stofflichen
Gehalt der historischen Wissenschaft mit den Gesetzen künst-
lerischer Schönheit zu verschmelzen.“ Die geschichtliche Verklei-
dung aber gab ihm, dem Herben, Keuschen, Männischen, zugleich
die einzige Möglichkeit, persönliche Erlebnisse vor der Öffentlich-
keit zu bekennen. Der Roman sollte doch zugleich ein Stück
Lebensbeichte sein, da er in dem von innerster Melancholie über-
schatteten Helden, seiner Verzweiflung an allem Wissen, seinem
Durst nach Taten, der doch von Stufe zu Stufe nur zu immer neuer
Enttäuschung führt, den tiefen Weltschmerz ausbreiten sollte, mit
dem die trüben Erfahrungen der deutschen Revolution von 1848/49
den Dichter erfüllt hatten.
1 Ygl. das beigegebene Faksimile, das aus der oben S. 5f. unter II
beschriebenen Handschrift genommen ist. — Es ist interessant, das Verfahren
Fontanes, sich das phantasiemäßig Geschaute durch Zeichnungen zu ver-
sinnlichen, mit dem Scheffels zu vergleichen; s. die Tafeln bei J. Petersen,
Fontanes erster Berliner Gesellschaftsroman, Sitzungsberichte der Berliner
Akademie, phil.-hist. Kl. 1929, S. 480 ff.
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Rahmen bestimmter Örtlichkeit betrachtet wird. Ich ziehe das
kleine Detail dem großen Nebel vor . .“. Studium und Leben hatten
dem Dichter dies ,,Detail“ für sein Werk gereicht; wie scharf
beides gesehen war, beweisen die Zeichnungen, in denen Scheffel
auch das phantasiemäßig Geschaute vor den Kapitelanfängen seiner
Niederschrift zu gestalten bemüht war1.
Der historische Roman war für Scheffel die gegebene Dar-
stellungsart, nicht bloß weil sie dem Deutschland jener Jahrzehnte
in der Nachfolge Scotts eine besonders beliebte Kunstform war,
der auch die Malerei mit zahllosen Historienbildern beitrat. Schef-
fel war für diese Form geboren. Hauff — dessen Georg Sturm-
feder nebenbei gesagt dem Helden unseres Romans, der ebenso
aus akademischen Hörsälen in den Krieg läuft, nicht zufällig ver-
wandt scheint — mochte mit gewohnter Selbstpersiflage den
geschichtlichen Roman als „Hermaphroditen von Kunst und
Wissenschaft“ verspotten. Scheffel war er ein Gefäß, das eigens
geschaffen schien für seine Neigungen und Fähigkeiten. ,,Es hat
in mir,“ so schrieb er gerade Ende 1854 in jener Eingabe, mit
der er sich um die Professur für deutsche Literatur am Züricher
Polytechnikum bewarb, „der Künstler den Juristen durchkreuzt
und, nachdem ich mich in Italien dieses Zwiespalts entledigt und
in der Poesie die Versöhnung gefunden, habe ich mir die Linien
meines weiteren Schaffens dahin gezogen, den Ernst und stofflichen
Gehalt der historischen Wissenschaft mit den Gesetzen künst-
lerischer Schönheit zu verschmelzen.“ Die geschichtliche Verklei-
dung aber gab ihm, dem Herben, Keuschen, Männischen, zugleich
die einzige Möglichkeit, persönliche Erlebnisse vor der Öffentlich-
keit zu bekennen. Der Roman sollte doch zugleich ein Stück
Lebensbeichte sein, da er in dem von innerster Melancholie über-
schatteten Helden, seiner Verzweiflung an allem Wissen, seinem
Durst nach Taten, der doch von Stufe zu Stufe nur zu immer neuer
Enttäuschung führt, den tiefen Weltschmerz ausbreiten sollte, mit
dem die trüben Erfahrungen der deutschen Revolution von 1848/49
den Dichter erfüllt hatten.
1 Ygl. das beigegebene Faksimile, das aus der oben S. 5f. unter II
beschriebenen Handschrift genommen ist. — Es ist interessant, das Verfahren
Fontanes, sich das phantasiemäßig Geschaute durch Zeichnungen zu ver-
sinnlichen, mit dem Scheffels zu vergleichen; s. die Tafeln bei J. Petersen,
Fontanes erster Berliner Gesellschaftsroman, Sitzungsberichte der Berliner
Akademie, phil.-hist. Kl. 1929, S. 480 ff.