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Weinreich, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 7. Abhandlung): Fabel, Aretalogie, Novelle: Beiträge zu Phädrus, Petron, Martial und Apuleius — Heidelberg, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.40158#0006
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Otto Weinreich:

jenem Punkte mit dem Fabelgut berührt und deshalb, zu schwach
zur literarischen Einzelexistenz, da Unterkunft findet, wo sie eben
mit unterschlüpfen kann. Der Fabeldichter, der mit der Absicht
der Belehrung doch auch den Zweck der Unterhaltung verbindet,
nimmt vereinzelt Stücke auf, die mehr unterhalten als belehren:
Novellenstoffe, in kürzeste Form gebracht. Da Belehrung und Er-
bauung einander nahestehen, kommt mancher Ausschnitt aus der
Welt des Religiösen herein, das bald von der ernsten, bald von
der mehr heiteren Seite beleuchtet sein kann: Legende, Götter-
schwank, religiöse Satire. Ich bediene mich im Verlauf der folgenden
Untersuchungen mitunter des Ausdrucks der „ Aretalogie“ \ der mir
für ge\visse Stücke geeignet erscheint, weil er inhaltlich zutrifft und
zugleich hinweist auf eine Schicht von volkstümlicher, zwischen
Erbauung und Unterhaltung schillernder Kleinliteratur, mit der diese
„Fabeln“ mancherlei Berührung bieten. Wienert hat sich dieser
Bezeichnung nicht bedient, obwohl schon Werner und Kerenyi sie
eingeführt hatten.1 2
Die Zusammenhänge mit der antiken Novellistik sind vor allem
von Rohde3 und Thiele4 schon aufgewiesen worden. Sie zeigen
sich auch darin, daß Nikostratos in seine Novellensammlung Δεκα-
μυθία unter anderem auch Äsopfabeln aufnahm.5 Die meisten
Novellen ließen sich als Exempla verwerten und konnten darum
auch in Fabelsammlungen für irgendein fabida clocet ausgemünzt
werden. Daher finden wir die Geschichte von der treulosen Witwe
bei Äsop und Phädrus so gut wie bei Petron, vgl. unten Kap. III.

1 Literatur zu diesem Terminus s. unten S. 12, A. 2.
2 Werner, Hermes 53 (1918), 257-ff. Kerenyi, Die griechisch-orientalische
Romanliteratur in religionsgeschichtlicher Beleuchtung (Tübingen 1927) 205, A. 127.
Sie haben die für den Eselsroman des Apuleius bzw. Lukios von Patrai wohl
wichtigste Fabel übersehen: Babrius 201. Denn sie zeigt uns verschiedene Leidens-
stationen eines Eselslebens: zuerst heim Gärtner mit viel Arbeit und wenig Futter,
dann heim Töpfer noch mehr geplagt, endlich beim Gerber mit der Aussicht,
daß der ihm schließlich noch das Fell gerben wird. Die Motivierung des Wechsels
(Bitte an Zeus, Erfüllung durch Eingreifen des Hermes) ist kynisch, vgl. aus
menschlichen Analogien Helm, Lucian u. Menipp, 251 f. Zur „Wahl der Lebens-
güter“, zu welcher unsere Fabel gehört, vgl. Radermacher, Wien. Stud. 47 (1929),
79ff. Ich behandle das Stück ausführlicher in einer demnächst erscheinenden
Miszelle der Wiener Studien „Zur Wahl der Lebensgüter“.
3 Griech. Roman, Anhang.
4 Hermes 43 (1908), 337 ff.
5 0. Grusius, Lpz. SLud. 2 (1879), 228. W. Schmid, Griech. Lit. I 7, 680.
 
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