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Otto Weinreich:
30 quaerunt parentes per praeconem filiam;
vovus maritus conivge amissa clolet.
quid esset actum postquam populo innotuit,
omnes favorem comprobarunt caeliium.
6 aplendida NV, corr. Housman; splendens ditiis coni. Postgate, Class. Rev. 13
(1918), 269. 12 ferre NV, corr. Jannelli. 13 suae NV, corr. Eyssenhardt. 17 parat
NV, corr. Mueller. 21 proximum V, corr. Cassitto.
Thiele, der die Fabel ausführlich behandelte (Hermes 43, 1908,
369ff.), hat auf die mancherlei Unklarheiten und Störungen hin-
gewiesen, die durch die verhängnisvoll kürzende Art des Phädrus1
entstanden sind. Für die Vorlage ist, wie z. T. auch schon Mähly
und Havet sahen, folgendes vorauszusetzen: aus v. 2 muß geschlossen
werden, daß der reiche Liebhaber häßlich und von geringer Her-
kunft war; aus v. 4 amans, aus dem Verhalten des Mädchens v. 28f.
ist zu schließen, daß sie die Liebe des schönen, aber armen Liebhabers
erwidert hatte; aus v. 30, wo die Aktivität der Eltern2 der Passivität
des reichen maritus gegenübersteht, und aus dem vielt v. 2 muß
man entnehmen, daß die Habsucht der Eltern die Vermählung ihrer
Tochter erzwungen hatle. Gut hat Thiele auch gezeigt, daß die
Handlung wohl ursprünglich auf dem Lande spielte, die Verlegung
in die Stadt nur stört und in bezug auf die Entfernung der hortuli
des Armen von der villa des Reichen eine Unklarheit geschaffen
hat.3 * * Ich weiche nur darin von seiner Erklärung etwas ab, daß
ich folgenden Hergang annehme: die Braut wird aus dem Eltern-
haus abgeholt. Unterwegs bricht das Unwetter aus, gerade vor dem
Haus des armen Liebhabers; dort steht casu (13) dessen Esel, auf
den sie die Braut setzen, damit sie den Rest des Weges zur villa
des maritus nun nicht mehr zu Fuß machen muß. Denn so wie
1 Zum Stil bemerke ich nur folgendes: favorem caeliium (33) ist nur noch
aus Mart. Cap. I, 40 zu belegen, vgl. Thes. 1. 1. VI, 384, 65. Zu amorem avocabat
poculis (26) findet sich keine genaue Parallele, vgl. Thes. II, 1469, 22. aequalitas
in der Bedeutung von aequales (29) ist άπα£ λεγόμενον, vgl. Thes. I, 1002, 32.
fragor (16) in ähnlich gehobener Partie noch IV, 18 (19), 24, vgl. dazu unten.
2 Die Eltern lassen die Tochter durch den praeco „ausrufen“ — das tut
man sonst bei verlorenen Sachen und entlaufenen Sklaven (Friedländer-Wissowa,
Sittengeschichte 9, I, 171 f. 217). Vielleicht ist dieser merkwürdig krasse Realismus
eine Vergröberung der Vorlage, in der die Eltern vielleicht händeringend bei Hinz
und Kunz herumsuchten. Der praktischere Römer läßt die Braut „ausschellen“.
3 Wer nicht annimmt, daß Phädrus die Handlung in die Stadt verlegte,
muß wie Havet hinter v. 1 den Ausfall einer Reihe von Versen ansetzen, vgl.
seine Anm. S. 134 der großen Ausgabe. Ihm schließt sich Alice Brenot an.
Otto Weinreich:
30 quaerunt parentes per praeconem filiam;
vovus maritus conivge amissa clolet.
quid esset actum postquam populo innotuit,
omnes favorem comprobarunt caeliium.
6 aplendida NV, corr. Housman; splendens ditiis coni. Postgate, Class. Rev. 13
(1918), 269. 12 ferre NV, corr. Jannelli. 13 suae NV, corr. Eyssenhardt. 17 parat
NV, corr. Mueller. 21 proximum V, corr. Cassitto.
Thiele, der die Fabel ausführlich behandelte (Hermes 43, 1908,
369ff.), hat auf die mancherlei Unklarheiten und Störungen hin-
gewiesen, die durch die verhängnisvoll kürzende Art des Phädrus1
entstanden sind. Für die Vorlage ist, wie z. T. auch schon Mähly
und Havet sahen, folgendes vorauszusetzen: aus v. 2 muß geschlossen
werden, daß der reiche Liebhaber häßlich und von geringer Her-
kunft war; aus v. 4 amans, aus dem Verhalten des Mädchens v. 28f.
ist zu schließen, daß sie die Liebe des schönen, aber armen Liebhabers
erwidert hatte; aus v. 30, wo die Aktivität der Eltern2 der Passivität
des reichen maritus gegenübersteht, und aus dem vielt v. 2 muß
man entnehmen, daß die Habsucht der Eltern die Vermählung ihrer
Tochter erzwungen hatle. Gut hat Thiele auch gezeigt, daß die
Handlung wohl ursprünglich auf dem Lande spielte, die Verlegung
in die Stadt nur stört und in bezug auf die Entfernung der hortuli
des Armen von der villa des Reichen eine Unklarheit geschaffen
hat.3 * * Ich weiche nur darin von seiner Erklärung etwas ab, daß
ich folgenden Hergang annehme: die Braut wird aus dem Eltern-
haus abgeholt. Unterwegs bricht das Unwetter aus, gerade vor dem
Haus des armen Liebhabers; dort steht casu (13) dessen Esel, auf
den sie die Braut setzen, damit sie den Rest des Weges zur villa
des maritus nun nicht mehr zu Fuß machen muß. Denn so wie
1 Zum Stil bemerke ich nur folgendes: favorem caeliium (33) ist nur noch
aus Mart. Cap. I, 40 zu belegen, vgl. Thes. 1. 1. VI, 384, 65. Zu amorem avocabat
poculis (26) findet sich keine genaue Parallele, vgl. Thes. II, 1469, 22. aequalitas
in der Bedeutung von aequales (29) ist άπα£ λεγόμενον, vgl. Thes. I, 1002, 32.
fragor (16) in ähnlich gehobener Partie noch IV, 18 (19), 24, vgl. dazu unten.
2 Die Eltern lassen die Tochter durch den praeco „ausrufen“ — das tut
man sonst bei verlorenen Sachen und entlaufenen Sklaven (Friedländer-Wissowa,
Sittengeschichte 9, I, 171 f. 217). Vielleicht ist dieser merkwürdig krasse Realismus
eine Vergröberung der Vorlage, in der die Eltern vielleicht händeringend bei Hinz
und Kunz herumsuchten. Der praktischere Römer läßt die Braut „ausschellen“.
3 Wer nicht annimmt, daß Phädrus die Handlung in die Stadt verlegte,
muß wie Havet hinter v. 1 den Ausfall einer Reihe von Versen ansetzen, vgl.
seine Anm. S. 134 der großen Ausgabe. Ihm schließt sich Alice Brenot an.