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Weinreich, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 7. Abhandlung): Fabel, Aretalogie, Novelle: Beiträge zu Phädrus, Petron, Martial und Apuleius — Heidelberg, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.40158#0042
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42

Otto Weinreich:

Hauptprolog des 4. Buches hatte geendet: inlitteratum plausum nec
desidero. Den Beifall der litteraü verdient Phädrus durch das un-
mittelbar auf diesen Vers folgende Eselsgedicht wirklich, wenn das,
was ich als dessen literarische Tendenz vermute, in der Tat seine
Absicht war.
Martial nimmt nicht selten auf die Attisreligion Bezug.1 In III, 91
berichtet er eine merkwürdige Geschichte, die zunächst wie ein wirk-
liches Ereignis erscheint. Ein heimkehrender Veteran schloß sich
einer Schar von Kybelepriestern an. Das gleiche hatte ein hübscher
Bursche getan, der seinem Herrn entlaufen war. Im Nachtquartier
fragen sie diesen, auf welcher Seite des Betts er liegen werde. Er
riecht Lunte und läßt den Alten außen liegen, nimmt die Seite nach
der Wand (also muß er den Priestern gesagt haben, er läge vorne).
In der Nacht kommen sie und kastrieren versehentlich den Alten.
In meinen Martialstudien 30, A. 42 hatte ich bei der Erwähnung
der mythologisierenden Pointe2 auf den novellistischen Charakter
des Epigramms hingewiesen, ohne das weiter auszuführen. Für
novellistisch halte ich" den Zug, daß ein Schläfer durch irgendein
Strategem eine ihm drohende Gefahr abwendet. Der Stallknecht
bei Boccaccio III, 2, dem man, um ihn kenntlich zu machen, bei
Nacht die Haare abgeschnitten hatte, schneidet auch den andern
Schläfern die Haare ab und rettet sich so. In einem afrikanischen
Märchen wird die Haartracht der schlafenden Kinder geändert, so
daß die Hexe dann im Dunkeln ihren eigenen Kindern die Köpfe
abschneidet.3 Oder man vertauscht zum gleichen Zweck und mit
gleichem Ergebnis die Nachtmützen4 oder die Schlafdecken.5 Das,
was Martial am nächsten steht, den Tausch des Platzes im Bett,
finde ich aus Camerarius, Appendix fabularum Aesopicarum 1539,
Bl. 18a: Viatores duo bei Bolte-Polivka III, 451, 1 angeführt, nur
ist die Sache harmloser6: die Wirtin weckt den vorn im Bett

1 Die Stellen bei Hepding 24f. gesammelt; III, 91 fehlt da.
2 In Aulis cerva supposita, hier pro cervo mentula supposita est.
3 Leo Frobenius, Atlantis IV, 301.
4 Bolte-Polivka, Anm. zu Grimms KHM I, 124; III, 34.
5 Frobenius VII, 60 f.
6 Eine unheilvolle Verwechslung bietet Phädrus III, 10: der eifersüchtige
Ehemann tastet im Dunkel nach dem Kopf des im Zimmer seiner Frau noch
liegenden Wesens, seniit tonsum, ersticht ihn und muh lucerna adlata erkennen,
daß er seinen Sohn getötet hat statt des vermuteten Buhlers.
 
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