Fabel, Aretalogie, Novelle.
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Ph. 11 ff. und entsprechend Rom. motivieren das Herangehen des Soldaten ans
Grab, abweichend von P., durch Durst. Ph. und Rom. haben das aus einer
gemeinsamen Quelle (daß Rom. hier selbständig neben Ph. steht, zeigte ja
schon die Tatsache, daß vorher Rom. gegen Ph. richtig den Singular hatte,
wie P.), die aber eine schwere Mißbildung der Urform darstellt. Es ist dunkel
(Ph. 1 5), wie soll dei' Soldat, selbst wenn er Durst hat, sehen, daß in einem
Hypogeum Menschen sind, und wie soll er da erwarten können, Wasser zu finden?
Was Thiele über diese Diskrepanz der Quellen vorbringt (366 f.), ist ganz irrig,
weil ihm nicht klar wurde, daß die Urform notwendigerweise das inedia-Motiv
für die Matrone enthielt. Nicht P. „nimmt an, daß die Frauen nichts zu essen
bei sich haben, also auch nichts zu trinken, womit das Durst-Motiv (sc. für den
Soldaten) fällt“, — nicht P. „läßt es einfach fallen und führt dafür die Neugier
ein“, sondern umgekehrt: bei Petron steht das Ursprüngliche. In
der Nacht muß es einem Wachhabenden auffallen, wenn er plötzlich in einem
Mausoleum helleres Licht (womöglich sich bewegendes) sieht und Klagen hört
in der Stille der Nacht; da geht er natürlich nachsehen. Die Vorlage von Ph.
und Rom., die kürzt und kürzen muß — als Fabel oder Argumentum —,
opfert nachher die ganze Episode von Soldat, cenula, Magd, trinkender und
essender Matrone. Sie opfert das Erblicken des Lichts, genau so wie das Öl-
erneuern der Magd; nur das „Trinken“ greift sie auf, überträgt es — reichlich
ungeschickt — von Magd und Matrone auf.den Soldaten und hat damit ein
Motiv für seinen Gang zum Grab. Also einzig der notgedrungene Versuch,
eine Novelle stark zu kürzen, hat zu der unglücklichen Version geführt, die
wir jetzt im Ph. und Rom. finden. Thiele kam gewiß auf obige Einzel-These
nur deshalb, weil er überhaupt glaubte, P. schöpfe aus einer dürren Argumenta-
sammlung. — Bei Rom. wird sogar zum bibit noch ein abiit hinzugefügt: der
Soldat bekam die Matrone zuerst offenbar gar nicht zu sehen! Die Fortsetzung
ist danu ganz unvermittelt: warum kommt er wieder, wenn nicht gesagt war,
daß er eine schöne Frau sah? Oder meint Rom., der die Magd ja nicht aus-
drücklich erwähnt, bei rogans accepit, die Matrone habe er gebeten und von
ihr das Wasser erhalten? Schwerlich, denn es folgt ja erst nachher vieler et
feminam. Man sieht überall die verhängnisvollen Folgen der Kürzung. Keine
Rede davon, daß Petron ein derartiges Argumentum kunstvoll zurechtbiege
und bereichere!
P. 111, 8. In der Wortgruppe eunclem — domicilium schwankt die Überlieferung
stark, vgl. Ernouts Apparat. Gurlitt will das überschüssige sed wieder zu
scilictt machen. Sonst denkt man meist an eunclem, esse exitum, <[eandem esse)
sed(emy, [et] idem domicilium. Einfacher wäre (chiastisch): eundem esse exitum,
sed(em eandem) et idem domicilium. Pleonastische Verbindung von domicilium
und secles ist bei Cicero sehr häufig, aber auch bei Seneca und Tacitus beliebt,
vgl. Thes. 1. 1. V Sp. 1875, 16; 18; 28; 44; 61; Sp. 1876, 7f.; 20; 27; 36; 39.
— Über die Rolle der Magd und der cenula vgl. die Ausführungen zum vor-
hergehenden Abschnitt. Wie wenig sinnvoll das Durstmotiv des Soldaten ist,
zeigt sich auch hier: die römische Wache ivird, wie sich’s gehört, verproviantiert.
— P. 111, 18. Wie der Soldat durch seine Bitte, erreicht auch Thrasyllus bei
Charite: membra . . . cibo denique confoveret; jedoch tut sie es anders: vultu
non quidem hilaro, verum paulo sereniore obiens, ut iuhebatur, viventium munia.
— Ph. 16 eher perspicib zu schreiben? So Postgate, dass. Rev. 1919, 21. —
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Ph. 11 ff. und entsprechend Rom. motivieren das Herangehen des Soldaten ans
Grab, abweichend von P., durch Durst. Ph. und Rom. haben das aus einer
gemeinsamen Quelle (daß Rom. hier selbständig neben Ph. steht, zeigte ja
schon die Tatsache, daß vorher Rom. gegen Ph. richtig den Singular hatte,
wie P.), die aber eine schwere Mißbildung der Urform darstellt. Es ist dunkel
(Ph. 1 5), wie soll dei' Soldat, selbst wenn er Durst hat, sehen, daß in einem
Hypogeum Menschen sind, und wie soll er da erwarten können, Wasser zu finden?
Was Thiele über diese Diskrepanz der Quellen vorbringt (366 f.), ist ganz irrig,
weil ihm nicht klar wurde, daß die Urform notwendigerweise das inedia-Motiv
für die Matrone enthielt. Nicht P. „nimmt an, daß die Frauen nichts zu essen
bei sich haben, also auch nichts zu trinken, womit das Durst-Motiv (sc. für den
Soldaten) fällt“, — nicht P. „läßt es einfach fallen und führt dafür die Neugier
ein“, sondern umgekehrt: bei Petron steht das Ursprüngliche. In
der Nacht muß es einem Wachhabenden auffallen, wenn er plötzlich in einem
Mausoleum helleres Licht (womöglich sich bewegendes) sieht und Klagen hört
in der Stille der Nacht; da geht er natürlich nachsehen. Die Vorlage von Ph.
und Rom., die kürzt und kürzen muß — als Fabel oder Argumentum —,
opfert nachher die ganze Episode von Soldat, cenula, Magd, trinkender und
essender Matrone. Sie opfert das Erblicken des Lichts, genau so wie das Öl-
erneuern der Magd; nur das „Trinken“ greift sie auf, überträgt es — reichlich
ungeschickt — von Magd und Matrone auf.den Soldaten und hat damit ein
Motiv für seinen Gang zum Grab. Also einzig der notgedrungene Versuch,
eine Novelle stark zu kürzen, hat zu der unglücklichen Version geführt, die
wir jetzt im Ph. und Rom. finden. Thiele kam gewiß auf obige Einzel-These
nur deshalb, weil er überhaupt glaubte, P. schöpfe aus einer dürren Argumenta-
sammlung. — Bei Rom. wird sogar zum bibit noch ein abiit hinzugefügt: der
Soldat bekam die Matrone zuerst offenbar gar nicht zu sehen! Die Fortsetzung
ist danu ganz unvermittelt: warum kommt er wieder, wenn nicht gesagt war,
daß er eine schöne Frau sah? Oder meint Rom., der die Magd ja nicht aus-
drücklich erwähnt, bei rogans accepit, die Matrone habe er gebeten und von
ihr das Wasser erhalten? Schwerlich, denn es folgt ja erst nachher vieler et
feminam. Man sieht überall die verhängnisvollen Folgen der Kürzung. Keine
Rede davon, daß Petron ein derartiges Argumentum kunstvoll zurechtbiege
und bereichere!
P. 111, 8. In der Wortgruppe eunclem — domicilium schwankt die Überlieferung
stark, vgl. Ernouts Apparat. Gurlitt will das überschüssige sed wieder zu
scilictt machen. Sonst denkt man meist an eunclem, esse exitum, <[eandem esse)
sed(emy, [et] idem domicilium. Einfacher wäre (chiastisch): eundem esse exitum,
sed(em eandem) et idem domicilium. Pleonastische Verbindung von domicilium
und secles ist bei Cicero sehr häufig, aber auch bei Seneca und Tacitus beliebt,
vgl. Thes. 1. 1. V Sp. 1875, 16; 18; 28; 44; 61; Sp. 1876, 7f.; 20; 27; 36; 39.
— Über die Rolle der Magd und der cenula vgl. die Ausführungen zum vor-
hergehenden Abschnitt. Wie wenig sinnvoll das Durstmotiv des Soldaten ist,
zeigt sich auch hier: die römische Wache ivird, wie sich’s gehört, verproviantiert.
— P. 111, 18. Wie der Soldat durch seine Bitte, erreicht auch Thrasyllus bei
Charite: membra . . . cibo denique confoveret; jedoch tut sie es anders: vultu
non quidem hilaro, verum paulo sereniore obiens, ut iuhebatur, viventium munia.
— Ph. 16 eher perspicib zu schreiben? So Postgate, dass. Rev. 1919, 21. —