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Carl Brinkmann:
Dieser gesunden, aus Herders organischer Geschichtsauffas-
sung bestärkten Ablehnung der Aufklärungsmoden muß man sich,
glaube ich, erinnern, um Goethes (noch neuerdings als „geheim-
rätlich19“ angesprochene) Haltung gegenüber den Schokoladisten
ganz zu verstehen. Sein Gutachten für Carl August20 geht nur
scheinbar auf den Vorschlag der „erwünschten Verbindung ver-
nünftiger junger Leute“ ein, die Duelle durch ein studentisch be-
setztes Ehrengericht zu ersetzen (das sollte auf lange hinaus ein
ständiger Gedanke der Universitätsreformer sein); seine tieferen
Gedanken indes gehen offensichtlich in anderer Richtung: „Jede
geheime Gesellschaft wird in unseren Tagen gefährlicher, weil der
Allgemeingeist des Augenblicks mit tausend Zungen ausspricht,
daß man kein Gesetz zu halten brauche, in das man nicht ganz frei-
willig konsentiert habe. Kein Staat soll keine geheime Verbindung
dulden, alle öffentliche begünstigen“. Und wenn man noch an
seiner eigentlichen, zwischen den studentischen Parteien neutralen
Stellung zweifelte, so würde man durch Goethes Schlußantrag auf
einfache Strafverschärfungen für wörtliche und tätliche Beleidi-
gungen belehrt: „Es braucht also der ganzen komplizierten Orga-
nisation, des ganzen Gerichts der Beisitzer und alle der Umstände
nicht, jeder vernünftige Mensch ist in Ruhe und es wird ihm gleich
Ruhe geschafft. Es ist eben wie mit der Abschaffung der Todesstrafen,
die sich gar leicht von selbst abschaffen, wenn man die ersten Grade,
wovon große Verbrechen das Ende sind, verhüten kann.“
Nachdem die weimarische Regierung dann, gewiß wirtschaft-
lich nicht unbeeinflußt durch die Drohung der Nohraer Sezession
mit dem Übergang nach dem kurmainzischen Erfurt oder dem kur-
sächsischen Wittenberg, vor der Studentenmehrheit kapituliert, das
zur Sicherheit entsandte Militär zurückgezogen und eine Unter-
suchung der studentischen Beschwerden zugesagt hatte, hat sich
Carl August einem Antrag des Jenaer Senats folgend 1793 ver-
geblich bemüht, am Regensburger Reichstag ein Reichsgesetz gegen
die studentischen Geheimverbindungen zu erwirken; es gedieh
19 F. Hartung, Das Großherzogtum Sachsen unter der Regierung Carl
Augusts (Weimar 1923) 168.
20 ed. C. Schüddekopf Goethe - Jahrbuch 19 (1898), 20 ff., danach
Weimarer Ausg. l, 53, 258ff. Zu Stephani sagte Goethe (Ssymank a. a. O. 11),
,,es sei eine Maxime der Regierungsklugheit, die Menschen nicht so zu behan-
deln, wie sie sein sollten, sondern wie sie wirklich sind.“
Carl Brinkmann:
Dieser gesunden, aus Herders organischer Geschichtsauffas-
sung bestärkten Ablehnung der Aufklärungsmoden muß man sich,
glaube ich, erinnern, um Goethes (noch neuerdings als „geheim-
rätlich19“ angesprochene) Haltung gegenüber den Schokoladisten
ganz zu verstehen. Sein Gutachten für Carl August20 geht nur
scheinbar auf den Vorschlag der „erwünschten Verbindung ver-
nünftiger junger Leute“ ein, die Duelle durch ein studentisch be-
setztes Ehrengericht zu ersetzen (das sollte auf lange hinaus ein
ständiger Gedanke der Universitätsreformer sein); seine tieferen
Gedanken indes gehen offensichtlich in anderer Richtung: „Jede
geheime Gesellschaft wird in unseren Tagen gefährlicher, weil der
Allgemeingeist des Augenblicks mit tausend Zungen ausspricht,
daß man kein Gesetz zu halten brauche, in das man nicht ganz frei-
willig konsentiert habe. Kein Staat soll keine geheime Verbindung
dulden, alle öffentliche begünstigen“. Und wenn man noch an
seiner eigentlichen, zwischen den studentischen Parteien neutralen
Stellung zweifelte, so würde man durch Goethes Schlußantrag auf
einfache Strafverschärfungen für wörtliche und tätliche Beleidi-
gungen belehrt: „Es braucht also der ganzen komplizierten Orga-
nisation, des ganzen Gerichts der Beisitzer und alle der Umstände
nicht, jeder vernünftige Mensch ist in Ruhe und es wird ihm gleich
Ruhe geschafft. Es ist eben wie mit der Abschaffung der Todesstrafen,
die sich gar leicht von selbst abschaffen, wenn man die ersten Grade,
wovon große Verbrechen das Ende sind, verhüten kann.“
Nachdem die weimarische Regierung dann, gewiß wirtschaft-
lich nicht unbeeinflußt durch die Drohung der Nohraer Sezession
mit dem Übergang nach dem kurmainzischen Erfurt oder dem kur-
sächsischen Wittenberg, vor der Studentenmehrheit kapituliert, das
zur Sicherheit entsandte Militär zurückgezogen und eine Unter-
suchung der studentischen Beschwerden zugesagt hatte, hat sich
Carl August einem Antrag des Jenaer Senats folgend 1793 ver-
geblich bemüht, am Regensburger Reichstag ein Reichsgesetz gegen
die studentischen Geheimverbindungen zu erwirken; es gedieh
19 F. Hartung, Das Großherzogtum Sachsen unter der Regierung Carl
Augusts (Weimar 1923) 168.
20 ed. C. Schüddekopf Goethe - Jahrbuch 19 (1898), 20 ff., danach
Weimarer Ausg. l, 53, 258ff. Zu Stephani sagte Goethe (Ssymank a. a. O. 11),
,,es sei eine Maxime der Regierungsklugheit, die Menschen nicht so zu behan-
deln, wie sie sein sollten, sondern wie sie wirklich sind.“