Jungfrauensohn und Krippenkind.
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Das Motiv, das sich für eine solche Legendarisierung ohne
weiteres darbot, war das der Theogamie, die Vorstellung von
der Vermählung eines Gottes mit einem sterblichen Weibe, das
aus einer großen Anzahl von Geburtsgeschichten bekannt ist. Es
wäre zu erzählen gewesen, daß die Mutter Jesu auf irgendeine
wunderbare Weise, d. h. nicht von ihrem Gatten, befruchtet worden
sei. Dieses Theogamie-Motiv in der üblichen Form enthält die
Verkündigungs-Legende Luk. 1 aber nicht. Man darf zur Erklä-
rung nicht etwa einwenden, dem judenchristlichen Verfasser sei das
Motiv unbekannt gewesen. Das ist bei der weiten Verbreitung der
Theogamie-Vorstellung kaum anzunehmen; der Jude Josephus
selbst hat ja in seiner Archäologie eines der gröbsten Beispiele von
Willfährigkeit gegenüber dem ιερός γάμος -Gedanken erzählt1.
Der Verfasser der Verkündigungslegende hat seine Absicht auf
anderem Wege erreicht. Seine Erzählung, in der oben S. 16 f. rekon-
struierten Fassung, unterscheidet sich in drei wesentlichen Punkten
von dem gewöhnlichen Typus der Theogamie:
1. Der Vorgang der wunderbaren Erzeugung wird gar nicht
unmittelbar dargestellt. Die Legende bescheidet sich mit einem
mittelbaren Bericht: der Engel Gabriel kündet nur an, was ge-
schehen soll und was unerzählbar ist. Es ist bereits an Auferstehung
und Hadesfahrt Christi gezeigt worden, daß solche mittelbaren
Erzählungen die erste Etappe auf dem Weg vom Theologumenon
zur mythisch-historischen Darstellung bilden. So kann die Zurück-
haltung der Legende zur Bestätigung dafür dienen, daß die gött-
liche Erzeugung Jesu zuerst als Glaubenssatz gepredigt, nicht etwa
als Mythus berichtet wurde.
2. Der Vorgang der Erzeugung Jesu wird auch in der Ver-
kündigung nicht geschildert, sondern andeutend umschrieben.
Nicht Gott handelt, sondern sein πνεύμα oder seine δύναμις; von
den beiden Verben aber, die dem Vorgang gelten, ist das erste
neutral (έπελεύσεται), und nur das zweite, επισκιάσει, erlaubt eine
konkretere Deutung; aber auch dieses Wort verhüllt das Unerzähl-
bare mehr als daß es das göttliche Geheimnis des Vorgangs verrät.
Die Legende rechnet auf Hörer und Leser, die solches verstehen
1 Es ist die Geschichte’von der vornehmen Römerin Paulina und ihrem
von ihr nicht erhörten Liebhaber Mundus (Josephus, Antiquitates XVIII 66 ff.).
Mundus läßt sie durch bestochene Isis-Priester in den Tempel zu δεΐπνον und
εύνή des Anubis bestellen. Sie folgt der Ladung mit Zustimmung ihres Gat-
ten (!), und Mundus kann sich unerkannt ihrer Liebe erfreuen.
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Das Motiv, das sich für eine solche Legendarisierung ohne
weiteres darbot, war das der Theogamie, die Vorstellung von
der Vermählung eines Gottes mit einem sterblichen Weibe, das
aus einer großen Anzahl von Geburtsgeschichten bekannt ist. Es
wäre zu erzählen gewesen, daß die Mutter Jesu auf irgendeine
wunderbare Weise, d. h. nicht von ihrem Gatten, befruchtet worden
sei. Dieses Theogamie-Motiv in der üblichen Form enthält die
Verkündigungs-Legende Luk. 1 aber nicht. Man darf zur Erklä-
rung nicht etwa einwenden, dem judenchristlichen Verfasser sei das
Motiv unbekannt gewesen. Das ist bei der weiten Verbreitung der
Theogamie-Vorstellung kaum anzunehmen; der Jude Josephus
selbst hat ja in seiner Archäologie eines der gröbsten Beispiele von
Willfährigkeit gegenüber dem ιερός γάμος -Gedanken erzählt1.
Der Verfasser der Verkündigungslegende hat seine Absicht auf
anderem Wege erreicht. Seine Erzählung, in der oben S. 16 f. rekon-
struierten Fassung, unterscheidet sich in drei wesentlichen Punkten
von dem gewöhnlichen Typus der Theogamie:
1. Der Vorgang der wunderbaren Erzeugung wird gar nicht
unmittelbar dargestellt. Die Legende bescheidet sich mit einem
mittelbaren Bericht: der Engel Gabriel kündet nur an, was ge-
schehen soll und was unerzählbar ist. Es ist bereits an Auferstehung
und Hadesfahrt Christi gezeigt worden, daß solche mittelbaren
Erzählungen die erste Etappe auf dem Weg vom Theologumenon
zur mythisch-historischen Darstellung bilden. So kann die Zurück-
haltung der Legende zur Bestätigung dafür dienen, daß die gött-
liche Erzeugung Jesu zuerst als Glaubenssatz gepredigt, nicht etwa
als Mythus berichtet wurde.
2. Der Vorgang der Erzeugung Jesu wird auch in der Ver-
kündigung nicht geschildert, sondern andeutend umschrieben.
Nicht Gott handelt, sondern sein πνεύμα oder seine δύναμις; von
den beiden Verben aber, die dem Vorgang gelten, ist das erste
neutral (έπελεύσεται), und nur das zweite, επισκιάσει, erlaubt eine
konkretere Deutung; aber auch dieses Wort verhüllt das Unerzähl-
bare mehr als daß es das göttliche Geheimnis des Vorgangs verrät.
Die Legende rechnet auf Hörer und Leser, die solches verstehen
1 Es ist die Geschichte’von der vornehmen Römerin Paulina und ihrem
von ihr nicht erhörten Liebhaber Mundus (Josephus, Antiquitates XVIII 66 ff.).
Mundus läßt sie durch bestochene Isis-Priester in den Tempel zu δεΐπνον und
εύνή des Anubis bestellen. Sie folgt der Ladung mit Zustimmung ihres Gat-
ten (!), und Mundus kann sich unerkannt ihrer Liebe erfreuen.