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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0042
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42

Martin Dibelius:

und denen die Vorstellung einer Erzeugung durch den Geist in
ihren Voraussetzungen begreiflich ist. Sie bedürfen keines Berichts;
die andeutende Umschreibung sagt ihnen genug1.
3. Die Verkündigungslegende läßt Jesus nicht in einer Ehe
erzeugt werden. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied gegenüber
den Fällen göttlicher Erzeugung, wie sie der Midrasch, wie sie
Paulus und Philo voraussetzen; denn in all diesen Fällen handelt
es sich um Ehefrauen, in der Marienlegende aber um eine Jung-
frau -— wenn meine Rekonstruktion richtig ist, sogar um eine un-
verlobte Jungfrau. Aber die Vertreter des hellenistischen Juden-
tums bieten wenigstens Voraussetzungen für diese Variation des
Stoffes. Es ist schon die Möglichkeit nicht völlig auszuschließen,
daß die Septuaginta oder wenigstens ihre ersten Leser den Text
von der Schwangerschaft der παρθένος Jes. 7, 14 im Sinne einer
jungfräulichen Erzeugung gemeint oder verstanden haben. Der
erste Erzähler unserer Legende hätte dann bewußt an dieses Ver-
ständnis angeknüpft, wenn er seine Engelsbotschaft Luk. 1, 31
nach dem Vorbild von Jes. 7, 14 formte. Dieses Verständnis der
Jesaias-Stelle könnte kaum ohne mythologische Einflüsse ent-
standen sein, die wir freilich nicht mehr festzustellen vermögen.
Wichtiger noch als die mögliche Beziehung zu Jes. 7 erscheint mir
die Feststellung, daß Paulus Gal. 4, 27 έρημος (aus dem alttesta-
mentlichen Text) auf die Sara anwendet und Philo De Cherub. 45
von ihr als einer μονωθεΐσα spricht. Das schließt zunächst nur
den männlichen Ehepartner aus; der Gedanke wird aber von Philo
noch weitergeführt, wenn er Jerem. 3, 4 damit verbindet: „Hast
du mich nicht Haus genannt und Vater und Mann deiner Jung-
fräulichkeit“ (De Cherub 492). Er entwickelt daran die Lehre, daß
Ciott nur mit einer Jungfrau verkehre. Das wird zunächst
an der „wahren Jungfrau“, der αμίαντος καί άψαυστος καί καθαρά
φύσις entwickelt, dann aber auf Sara angewendet: Gott habe mit

1 Sehr gut formuliert das Friedrich Büchsee, Der Geist Gottes im
Neuen Testament 197: „wer von Lukas erwartet, er solle den Vorgang der
Empfängnis erzählen, der hat die Lukaserzählung nicht verstanden. Man
malt keine Madonna ohne Kleider. Lukas erzählt von dem Vorgang der Emp-
fängnis nicht, weil er nicht von ihm erzählen will. Einen Text nach Dingen
befragen, die er nicht erzählen will, heißt ihn nicht erklären, sondern miß-
handeln.“
2 Vgl. dazu Leisegang, Pneuma Hagion 43ff., Norden, Die Geburt
des Kindes 78ff.; Clemen, Religionsgeschichtl. Erklärung des Neuen Testa-
ments2 121.
 
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