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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 4. Abhandlung): Jungfrauensohn und Krippenkind: Untersuchungen zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukas-Evangelium — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40162#0055
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Jungfrauensohn und Krippenkind.

55

VII.
Wenn man die Darstellung der Geburt Jesu im sog. Prot-
evangelium Jacobi liest, die oben (S. 50f.) analysiert ist, so wird
man sich dessen bewußt, daß die Weihnachtsgeschichte Lk. 2, lff.
ursprünglich nicht als Fortsetzung der Marienlegende Lk. 1, 26ff.
geschaffen worden ist. Wer so, wie es dort, Lk. 1, geschieht, in
andeutender Verkündung die göttliche Zeugung aus der Jungfrau
Voraussagen läßt, hätte bei einer Darstellung der Geburt durch
Wunder oder Himmelsstimme, durch Engels- oder Menschenmund
die Botschaft laut werden lassen, daß die prophezeite Gottestat
Wirklichkeit geworden sei. Dabei wäre ein solcher Autor gewiß
nicht so überdeutlich geworden wie das „Protevangelium“, das in
seiner apologetischen Beweisführung bis zur körperlichen Unter-
suchung der Maria durch Salome gelangt; wohl aber hätte er das
Unbeschreibliche im Stil der Legende dargestellt, durch dankbares
Zeugnis der Menschen oder feiernden Preisgesang der Himmlischen.
In der Geschichte Lk. 2, lff. ist nichts von alledem zu finden: Bot-
schaft und Lobgesang der Engel gelten nur dem in diesem Kind
geoffenbarten Heil, und die Geburt selbst vollzieht sich unter selt-
samen, aber keineswegs wunderbaren Umständen.
So bestätigt dieser Blick auf das Ganze der Erzählungen, was
die Dekomposition bereits im einzelnen gezeigt hat (s. oben S. llf.):
die beiden Geschichten gehören nicht zusammen. Die Eltern Jesu
werden in der Weihnachtsgeschichte neu eingeführt und zwar als
wirkliche eheliche Eltern Jesu; die Ankündigung des Kindes ist
in beiden Erzählungen ganz verschieden orientiert — das sind An-
zeichen einer ursprünglichen Fremdheit zwischen beiden Stücken.
Dazu kommt ein weiteres Merkmal, das sich aus der Analyse der Weih-
nachtsgeschichte ergibt. Wir sind — ,,an diesen Klang von Jugend
auf gewöhnt“ — allzu geneigt, den weltgeschichtlichen Anfang des
Textes von dem Gebot, das der Kaiser Augustus ausgehen ließ,
übermäßig zu betonen; denn dieser Anfang erscheint uns ob seiner
historischen Beziehung bedeutungsvoll, ob seiner engen Verbindung
mit Weihnachtsfeier und Weihnachtsfreude symbolhaft und wert-
haltig. Aber der Akzent der Erzählung wird durch solche Betonung
verschoben. Es handelt sich ja gar nicht um eine Geschichte von
der Geburt Jesu; nur zwei Verse sind ihr gewidmet. Im Mittel-
punkt der Erzählung steht vielmehr die Verkündung an die Hirten,
die Botschaft von dem neugeborenen Erretter, die Mitteilung des
Zeichens, das ihn kenntlich macht, die Bestätigung der Botschaft
 
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