12
Hermann Güntert:
Auch Theophrast (V,8,3) bezeugt für die feuchte Ebene von Latium
Lorbeer und erwähnt, daß ein sogenanntes Kirkeheiligtum ein hoher,
dichtbewachsener Fels mit viel Lorbeer, Myrten und Eichen gewesen
sei (Κιρκαΐον ... άκραν υψηλήν δασεΐαν δέ σφόδρα καί εχειν δρΰν καί δάφνην
πολλήν καί μυρρίνους), ein Lieblingsbild der Alten; wuchs doch auch an
der Felsenhöhle Polyphems nach Homer (Od. 9,182) viel Lorbeer.1
Trotzdem ist eine Deutung von Laurentes als «Lorbeerleute»
sprachlich und sachlich unwahrscheinlich: die Landschaft hieß ja
Laurentinus, ist also nicht vom Pflanzennamen, sondern von der
Volksbezeichnung abgeleitet. Da aber Laurentes selbst in so enger
Beziehung mit Lavinium steht und in beiden Wörtern die Anfangs-
und Stammsilbe lau- gleich ist, werden wir auf unser Steinwort ge-
führt. Denn Lavinium hat mit Lorbeer sicher nichts zu tun; es lag
bekanntlich inmitten flachen Küstengebietes auf einem 90 Meter an-
steigenden Hügel und trug in alter Zeit eine Herrenburg nichtindo-
germanischer Siedlung. Dies kommt noch in der Sage darin zum
Ausdruck, daß Lavinia, die Gemahlin des Aeneas und Tochter des
einheimischen Königs Latinus, der Örtlichkeit den Namen gegeben
haben soll. Es stellt sich ja immer deutlicher heraus, daß die Sagen
von den Irrfahrten des Aeneas einen geschichtlichen Kern enthalten:
alte Streifzüge und Kolonisationen zur See von Kleinasien nach
Westen, auch nach Afrika, klingen hier dunkel und verworren nach.2
Laurentes und Lavinii sind ursprünglich «Steinleute, Bewohner
großer Steinburgen, Erbauer großer Steindenkmäler (Kuppelgräber,
Burgen)», also ganz dasselbe, was im Griechischen τύραννοι ur-
sprünglich waren (§ 59). Für die Ableitung Lavinii, Lavinium vgl.
man Λαΐνος aus *ΛαΤ-ΐνος und die etruskischen, romanisierten Namen
Lavius, Lavilius.3
III,
13. Wir haben festgestellt, daß unser Wort vorgriech. la(u)ur-,
la.ua- «bearbeiteter Stein» mit dem Bergbau zu tun hat; erinnern
1 laurus «Lorbeer» ist auf einen Stamm daur- zu beziehen, wie schon
griechisch δάφνη, thessal. δαύχνα «Lorbeer» beweist; es handelt sich um denselben
vorgriechischen Wortstamm, der auch in δαΰ-ν.ο-ς «Pastinak» (Theophron) vor-
liegt. Eine/-Form bietet auch die Glosse λάφνη ' δάφνη. Περγαΐοι. Dieser Wechsel
-d- : -l-, wie er aus dem Latein bekannt ist (z. B. dacruma ·. lacrima, Ulixes :
Όδυσσεός), ist auch für kleinasiatische Sprachen beobachtet, vgl. z. B. Lygdarnis :
Dugdctmme u. ä. (S. Kretschmer Glotta 19, 281.)
2 Vgl. L. Malten, Aineias, Arch. f. Religionswiss. 29, 1932, 33 ff.
3 Vgl. auch die illyrischen Völkernamen Ααι-αΐοι, Lai-anci.
Hermann Güntert:
Auch Theophrast (V,8,3) bezeugt für die feuchte Ebene von Latium
Lorbeer und erwähnt, daß ein sogenanntes Kirkeheiligtum ein hoher,
dichtbewachsener Fels mit viel Lorbeer, Myrten und Eichen gewesen
sei (Κιρκαΐον ... άκραν υψηλήν δασεΐαν δέ σφόδρα καί εχειν δρΰν καί δάφνην
πολλήν καί μυρρίνους), ein Lieblingsbild der Alten; wuchs doch auch an
der Felsenhöhle Polyphems nach Homer (Od. 9,182) viel Lorbeer.1
Trotzdem ist eine Deutung von Laurentes als «Lorbeerleute»
sprachlich und sachlich unwahrscheinlich: die Landschaft hieß ja
Laurentinus, ist also nicht vom Pflanzennamen, sondern von der
Volksbezeichnung abgeleitet. Da aber Laurentes selbst in so enger
Beziehung mit Lavinium steht und in beiden Wörtern die Anfangs-
und Stammsilbe lau- gleich ist, werden wir auf unser Steinwort ge-
führt. Denn Lavinium hat mit Lorbeer sicher nichts zu tun; es lag
bekanntlich inmitten flachen Küstengebietes auf einem 90 Meter an-
steigenden Hügel und trug in alter Zeit eine Herrenburg nichtindo-
germanischer Siedlung. Dies kommt noch in der Sage darin zum
Ausdruck, daß Lavinia, die Gemahlin des Aeneas und Tochter des
einheimischen Königs Latinus, der Örtlichkeit den Namen gegeben
haben soll. Es stellt sich ja immer deutlicher heraus, daß die Sagen
von den Irrfahrten des Aeneas einen geschichtlichen Kern enthalten:
alte Streifzüge und Kolonisationen zur See von Kleinasien nach
Westen, auch nach Afrika, klingen hier dunkel und verworren nach.2
Laurentes und Lavinii sind ursprünglich «Steinleute, Bewohner
großer Steinburgen, Erbauer großer Steindenkmäler (Kuppelgräber,
Burgen)», also ganz dasselbe, was im Griechischen τύραννοι ur-
sprünglich waren (§ 59). Für die Ableitung Lavinii, Lavinium vgl.
man Λαΐνος aus *ΛαΤ-ΐνος und die etruskischen, romanisierten Namen
Lavius, Lavilius.3
III,
13. Wir haben festgestellt, daß unser Wort vorgriech. la(u)ur-,
la.ua- «bearbeiteter Stein» mit dem Bergbau zu tun hat; erinnern
1 laurus «Lorbeer» ist auf einen Stamm daur- zu beziehen, wie schon
griechisch δάφνη, thessal. δαύχνα «Lorbeer» beweist; es handelt sich um denselben
vorgriechischen Wortstamm, der auch in δαΰ-ν.ο-ς «Pastinak» (Theophron) vor-
liegt. Eine/-Form bietet auch die Glosse λάφνη ' δάφνη. Περγαΐοι. Dieser Wechsel
-d- : -l-, wie er aus dem Latein bekannt ist (z. B. dacruma ·. lacrima, Ulixes :
Όδυσσεός), ist auch für kleinasiatische Sprachen beobachtet, vgl. z. B. Lygdarnis :
Dugdctmme u. ä. (S. Kretschmer Glotta 19, 281.)
2 Vgl. L. Malten, Aineias, Arch. f. Religionswiss. 29, 1932, 33 ff.
3 Vgl. auch die illyrischen Völkernamen Ααι-αΐοι, Lai-anci.