Catulls Sappho
15
freier schaltende Geschichte von Sappho und Anakreon (Philol.
N.F. IX 1896, 5ff.). Wie immer es mit den dialogischen Strophen
selbst stehen mag, sowohl hinsichtlich ihrer Herkunft wie ihres
ursprünglichen Bezuges, ihre in der Novelle gegebene Deutung auf
eine Begegnung zwischen Sappho und Alkaios (und zwar dem
Dichter Alkaios), blieb anerkannt, und die Kenntnis davon war
verbreitet und dauernd erhalten. Uns tritt sie entgegen schon beim
Maler der bekannten streng rotfigurigen Münchner Vase aus Agri-
gent mit den Gestalten der Sappho und des Alkaios; es kennen sie
Aristoteles (Rhet. I 9, 1367a 8) und Hermesianax (fr. 2, 47, Anth.
lyr. I 217 Diehl) und, was für die literarische Cielehrsamkeit in
Catulls Zeit besonders ins Gewicht fällt, nach dem treffenden Hin-
weis von Maas auch der Metriker, auf dessen Autorität hin Hephai-
stion 14,45 dem Vers lo7uX.ox’ ayvcc jjleXXl^oplelSe Sa-cpot. den Namen
’AXxaixov StoSsxaauXkaßov gegeben hat (Alk. fr. 63 Diei-il). Berge
hatte seiner Zeit vollkommen Recht damit gehabt, daß er auf die
Anrede, die eben dieser Vers enthält, den Eingang des aristotelischen
Zitats folgen hieß (Sappho Ir. 149 Diehl), indem zwei Verschlei-
fungen anerkannt werden (die erste erst von Maas festgestellt):
hsAo) Ti tol£lto]v, aXAa [xz xcoXusLafSojc. Mithin wirklich, die Anrede
an Sappho fortsetzend, ein zweiter alkäischer Zwölfsilbler und kein
Elfsilbler, wie diejenigen annehmen, die mit atSox; einen neuen Vers
beginnen lassen, wobei kein Anschluß an jene Anrede stattfindet.
Auf das mit Berge herzustellende zögernde Bekenntnis des um
Sappho werbenden Dichters, nach der Novelle also des Alkaios, ant-
wortet nun die Lesbierin zwar nicht inhaltlich das gleiche wie Catulls
Römerin, aber die Tonart und Haltung ist die gleiche: nicht schroff
abweisend — schon in der Wahl der 'alkäischen’ Strophe liegt ja ein
zartes Entgegenkommen —, doch mit derselben spröden Geste,
etwas sträflich, etwas erzieherlich, moralisierend:
cd d’tj'/oc loXcov Lgspov 7j xaXcov
XOCL [i.Y] TL TOL£L7T7]V SXUXOC XOCXOV,
atScop x£ vuv c’ oux 7}y£v ottoct’,
aXV ekzyzq 7T£pL t£> Slxixlco.
(Text nach Diehl; die Einzelheiten sind hier nicht zu erörtern).
Die Folgerung ist: in freier Gestaltung hat Catull zwei be-
rühmte Sapphica nachgebildet. Ja, es ist wahrscheinlich, daß der
Ausgangspunkt seiner poetischen Idee nicht eigentlich die Ode war,
sondern das Duett, dessen Übertragung auf die eigene Werbung
in diesem literarisch unterrichteten Kreise ein gewiß anspruchs-
15
freier schaltende Geschichte von Sappho und Anakreon (Philol.
N.F. IX 1896, 5ff.). Wie immer es mit den dialogischen Strophen
selbst stehen mag, sowohl hinsichtlich ihrer Herkunft wie ihres
ursprünglichen Bezuges, ihre in der Novelle gegebene Deutung auf
eine Begegnung zwischen Sappho und Alkaios (und zwar dem
Dichter Alkaios), blieb anerkannt, und die Kenntnis davon war
verbreitet und dauernd erhalten. Uns tritt sie entgegen schon beim
Maler der bekannten streng rotfigurigen Münchner Vase aus Agri-
gent mit den Gestalten der Sappho und des Alkaios; es kennen sie
Aristoteles (Rhet. I 9, 1367a 8) und Hermesianax (fr. 2, 47, Anth.
lyr. I 217 Diehl) und, was für die literarische Cielehrsamkeit in
Catulls Zeit besonders ins Gewicht fällt, nach dem treffenden Hin-
weis von Maas auch der Metriker, auf dessen Autorität hin Hephai-
stion 14,45 dem Vers lo7uX.ox’ ayvcc jjleXXl^oplelSe Sa-cpot. den Namen
’AXxaixov StoSsxaauXkaßov gegeben hat (Alk. fr. 63 Diei-il). Berge
hatte seiner Zeit vollkommen Recht damit gehabt, daß er auf die
Anrede, die eben dieser Vers enthält, den Eingang des aristotelischen
Zitats folgen hieß (Sappho Ir. 149 Diehl), indem zwei Verschlei-
fungen anerkannt werden (die erste erst von Maas festgestellt):
hsAo) Ti tol£lto]v, aXAa [xz xcoXusLafSojc. Mithin wirklich, die Anrede
an Sappho fortsetzend, ein zweiter alkäischer Zwölfsilbler und kein
Elfsilbler, wie diejenigen annehmen, die mit atSox; einen neuen Vers
beginnen lassen, wobei kein Anschluß an jene Anrede stattfindet.
Auf das mit Berge herzustellende zögernde Bekenntnis des um
Sappho werbenden Dichters, nach der Novelle also des Alkaios, ant-
wortet nun die Lesbierin zwar nicht inhaltlich das gleiche wie Catulls
Römerin, aber die Tonart und Haltung ist die gleiche: nicht schroff
abweisend — schon in der Wahl der 'alkäischen’ Strophe liegt ja ein
zartes Entgegenkommen —, doch mit derselben spröden Geste,
etwas sträflich, etwas erzieherlich, moralisierend:
cd d’tj'/oc loXcov Lgspov 7j xaXcov
XOCL [i.Y] TL TOL£L7T7]V SXUXOC XOCXOV,
atScop x£ vuv c’ oux 7}y£v ottoct’,
aXV ekzyzq 7T£pL t£> Slxixlco.
(Text nach Diehl; die Einzelheiten sind hier nicht zu erörtern).
Die Folgerung ist: in freier Gestaltung hat Catull zwei be-
rühmte Sapphica nachgebildet. Ja, es ist wahrscheinlich, daß der
Ausgangspunkt seiner poetischen Idee nicht eigentlich die Ode war,
sondern das Duett, dessen Übertragung auf die eigene Werbung
in diesem literarisch unterrichteten Kreise ein gewiß anspruchs-