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Immisch, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1933/34, 2. Abhandlung): Catulls Sappho — Heidelberg, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.40167#0016
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16

Otto Immisch:

volles, aber auch wirkungsvolles Unternehmen sein mußte. Die
Ode, die man bisher ausschließlich als sein Vorbild ansah, hat er
wohl nur in zweiter Linie herangezogen, nicht so sehr um ihrer
selbst willen, als weil mit ihrer Nachbildung das zagend verhüllte
Geständnis des Alkaios durch offen bekannte Leidenschaft ersetzt
werden konnte, und zwar im Hinblick auf einen eifersüchtig um
sein Glück beneideten Rivalen; denn an einem solchen wird es nach
allem, was wir von Clodia erfahren, nicht gefehlt haben. Damit
berichtigt sich auch der zunächst von uns erhobene Einwand gegen
die Wahl dieser Vorlage.
Der literarische Vorgang ist nichts unerwartetes. Wir sehen
die gleiche Freiheit, die schon in den Frühzeiten der römischen
Literatur zum „Kontaminieren“ führte, und wir sehen insonder-
heit in der Benutzung der archaischen Lyrik dasselbe Ver-
halten wie nachmals bei Horaz: keine imitatio in artum, sondern
selbständigstes Schalten mit einzelnen Situationen und Motiven,
sowie berühmten Versen oder Strophen. Der Rückgriff aber über
die Alexandriner hinaus, der hier schon vor Horaz ausgeführt
wurde, war auch generell, zum mindesten in der erotischen Dichtung,
eine Tat voll sicheren und lichtigen Kunstempfindens. Es ist un-
längst in der Tübinger Dissertation von Oskar Hetzel (Catull und
das griechische Epigramm, Stuttgart 1932) gut bemerkt worden,
daß mit Catulls Lesbia-Liebe insofern etwas Neues und zugleich im
besonderen Sinne Römisches in Erscheinung trat, als diese Erotik
nicht mehr in der hellenistischen Art ausschließlich unter Hetären
und schönen Knaben sieb bewegt, sondern ein Verhältnis zwischen
gesellschaftlich gleichgestellten Partnern bedeutet; man erkennt
leicht, wie geeignete V orbilder gerade dafür die Welt der altlesbischen
Lyrik darbot. Und wenn Catull, wie wir sahen, was in dieser Lyrik
noch generell gebunden war, individualisierte und die beiden Part-
ner zu einem ganz einmaligen Ich und Du umzubilden wußte, so
liegt auch das in der Richtung des spezifisch römischen Kunst-
willens, wie uns die Geschichte des individuellen Porträts gelehrt hat.
Schließlich: auch in der Form, wenn er ein Duett bildete,
handelte er in keiner Weise befremdlich und so, daß einem antiken
Leser die dialogische Auffassung des Gedichts fern hätte liegen
müssen. Horazens Donec gratus er am tibi ist gewiß nicht ohne Vor-
gänger gewesen, und wahrscheinlich gab es solche Duette zwischen
Liebenden nicht nur innerhalb der hellenistischen Epigrammatik,
aus welcher die Horazkommentare Beispiele anführen, wie Ville-
 
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