Walther Kolbe:
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Cassius Dio (Zonaras) arbeiten mit einem durch Legendenbildung
stark verfälschten Stoff. Von hervorragender Seite ist jüngst der
Versuch gemacht worden, den Kreis der Gewährsleute nach oben
zu erweitern, dadurch daß der Ideengehalt des Werkes von Fabius
Pictor wiederhergestellt wurde und damit 'echte Stücke römischer
Politik, wie sie Senatoren des dritten Jahrhunderts verstanden
und machten1’. Selbst wenn es gelungen sein sollte, die Auffassung
des ältesten römischen Geschichtsschreibers wiederzugewinnen,
so scheint mir für die Lösung des historischen Problems wenig
oder gar nichts erreicht zu sein. Gewiß, Fabius schreibt als Ange-
höriger der Senatsaristokratie, er schreibt als Zeitgenosse, der an
mehr oder weniger hervorragender Stelle das große Geschehen
miterlebt hat. Es hat den Anschein, als ob er dadurch vor Polybios,
der erst der zweiten Generation nach dem Kriege angehörte, un-
endlich viel voraus hat. Allein bei näherer Betrachtung wird sich,
was ein scheinbarer Vorzug ist, als schwerer Nachteil herausstellen.
Denn es ist gewiß erlaubt vorauszusetzen, daß die Kenntnis kar-
thagischen Wesens unter den Römern des II. Punischen Krieges
sehr gering war, ganz zu schweigen von der Kenntnis der Absichten
und Ziele der leitenden Staatsmänner und der Besonderheiten
der Verfassung. Im günstigsten Falle wird Fabius’ Darstellung
von den Vorgängen bei Kriegsausbruch auf die Äußerungen der
römischen Gesandten2 zurückgegangen sein. Aber was ist damit
gewonnen ? Sind etwa diese Berichte als historische Wahrheit
anzusehen ? Das hieße soviel wie die Entstehung des Krieges von
1914 nach den Memoiren von Lord Grey schildern. Indem man
an diesen Vergleich erinnert, kommt uns zum Bewußtsein, daß
Fabius als Wortführer der einen Partei anzusehen ist. Überdies
steckte die römische Geschichtsschreibung am Ende des dritten
Jahrhunderts noch so in den Anfängen, daß ihr jede Kritik des
gegnerischen Standpunktes berechtigt zu sein schien. Die Gleich-
zeitigkeit von Fabius’ Berichterstattung erweist sich daher als
ein Vorzug von zweifelhaftem Wert.
Noch ein zweites muß gleich zu Beginn mit aller Deutlichkeit
ausgesprochen werden: Keine Stimme aus dem karthagischen
Lager ist unverfälscht zu uns gedrungen, vielmehr ist die Welt-
1 Gelzer, Hermes 68. 1933, 129ff., bes. 156.
2 So führt z. B. Gelzer, a. ä. 0. 158 die Nachricht von der "Desavou-
ierung Hannibals’— an die ich nicht zu glauben vermag — auf die römischen
Gesandten des Jahres 220/19 zurück.
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Cassius Dio (Zonaras) arbeiten mit einem durch Legendenbildung
stark verfälschten Stoff. Von hervorragender Seite ist jüngst der
Versuch gemacht worden, den Kreis der Gewährsleute nach oben
zu erweitern, dadurch daß der Ideengehalt des Werkes von Fabius
Pictor wiederhergestellt wurde und damit 'echte Stücke römischer
Politik, wie sie Senatoren des dritten Jahrhunderts verstanden
und machten1’. Selbst wenn es gelungen sein sollte, die Auffassung
des ältesten römischen Geschichtsschreibers wiederzugewinnen,
so scheint mir für die Lösung des historischen Problems wenig
oder gar nichts erreicht zu sein. Gewiß, Fabius schreibt als Ange-
höriger der Senatsaristokratie, er schreibt als Zeitgenosse, der an
mehr oder weniger hervorragender Stelle das große Geschehen
miterlebt hat. Es hat den Anschein, als ob er dadurch vor Polybios,
der erst der zweiten Generation nach dem Kriege angehörte, un-
endlich viel voraus hat. Allein bei näherer Betrachtung wird sich,
was ein scheinbarer Vorzug ist, als schwerer Nachteil herausstellen.
Denn es ist gewiß erlaubt vorauszusetzen, daß die Kenntnis kar-
thagischen Wesens unter den Römern des II. Punischen Krieges
sehr gering war, ganz zu schweigen von der Kenntnis der Absichten
und Ziele der leitenden Staatsmänner und der Besonderheiten
der Verfassung. Im günstigsten Falle wird Fabius’ Darstellung
von den Vorgängen bei Kriegsausbruch auf die Äußerungen der
römischen Gesandten2 zurückgegangen sein. Aber was ist damit
gewonnen ? Sind etwa diese Berichte als historische Wahrheit
anzusehen ? Das hieße soviel wie die Entstehung des Krieges von
1914 nach den Memoiren von Lord Grey schildern. Indem man
an diesen Vergleich erinnert, kommt uns zum Bewußtsein, daß
Fabius als Wortführer der einen Partei anzusehen ist. Überdies
steckte die römische Geschichtsschreibung am Ende des dritten
Jahrhunderts noch so in den Anfängen, daß ihr jede Kritik des
gegnerischen Standpunktes berechtigt zu sein schien. Die Gleich-
zeitigkeit von Fabius’ Berichterstattung erweist sich daher als
ein Vorzug von zweifelhaftem Wert.
Noch ein zweites muß gleich zu Beginn mit aller Deutlichkeit
ausgesprochen werden: Keine Stimme aus dem karthagischen
Lager ist unverfälscht zu uns gedrungen, vielmehr ist die Welt-
1 Gelzer, Hermes 68. 1933, 129ff., bes. 156.
2 So führt z. B. Gelzer, a. ä. 0. 158 die Nachricht von der "Desavou-
ierung Hannibals’— an die ich nicht zu glauben vermag — auf die römischen
Gesandten des Jahres 220/19 zurück.