Römischer und christlicher Reichsgedanke.
19
Eine epochemachende Wendung zugunsten der römischen
Liturgie bedeutet der welthistorische Bund des Papsttums mit den
Franken in der Zeit Pippins des Jüngeren. Der erste karolingische
König, vom Papste legitimiert, patricius Romanorum und Schutz-
herr der römischen Kirche, wollte ■— offenbar aus religiösen Motiven
— die Liturgie seiner Staatskirche vereinheitlichen und nach römi-
schem Vorbilde umgestalten. Zu diesem Zweck verschaffte man
sich ein römisches Sakramentar, dessen Bestand allerdings in Born
selbst längst antiquiert gewesen sein muß. Deshalb nahmen die
Bearbeiter des neuen römisch-fränkischen Meßbuches zur Ergän-
zung ein gallikanisiertes Gelasianum hinzu und stellten aus diesen
und ähnlich gearteten Vorlagen in den fünfziger Jahren des 8. Jahr-
hunderts ein Sakramentar her, das in der Forschung als Sacramen-
tarium Gelasianum saeculi octavi oder jüngeres Gelasianum bezeich-
net zu werden pflegt. Dieser neue Typus hat auch auf die Inseln
hinübergewirkt und stellt einen bedeutsamen Schritt in der Ro-
manisierung der Liturgie dar1.
Den römischen Bitus nahmen die christlichen Völker des Nor-
dens und Westens also mehr und mehr an. Was aber mögen sie
hei den Gebeten für das römische Reich und die römischen Fürsten,
den römischen Frieden und die römische Freiheit empfunden haben ?
Gehen wir die Handschriften durch, so finden wir das „römisch“
noch zuweilen wieder, häufiger ist aber ein „fränkisch“ oder „christ-
lich“ ergänzend hinzugesetzt, gar oft sogar das „römisch“ ganz
weggelassen2. Dürfen wir nun überall, wo wir vom römischen
1 Zur Pippinischen Liturgiereform brauche ich nur die vortreffliche
Arbeit von Th. Klauser, Die liturgischen Austauschbeziehungen zwischen
der römischen und der fränkisch-deutschen Kirche vom 8. bis 11. Jahr-
hundert, Hist. Jb. LI11 (1933), 169ff. anzuführen. Dort werden die bisherigen
Forschungen aufs klarste dargelegt und wertvolle neue Ergebnisse erarbeitet.
2 Wenn Heldmann, Kaisertum Karls d. Gr., S. 36f. es für sicher hält,
daß es in der vorpippinischen Liturgie des Frankenreiches kein Kirchengebet
für den römischen Kaiser mehr gegeben habe, so dürfte er vielleicht doch das
Gewicht der wenigen Stellen, die etwas vom römischen Reich sagen, unter-
schätzen (vgl. u. S. 30 f.). Denn aus dieser Frühzeit sind liturgische Denkmäler
uns nur so spärlich überliefert, daß wir dasjenige, was überhaupt auf uns ge-
kommen ist, als Repräsentant von ursprünglich weiter verbreiteten Texten
nehmen müssen. Daß solche Stellen allerdings noch nicht die Vorstel-
lung von der Fortdauer des römischen Reiches erweisen, gebe ich Heldmann
S. 42 gegenüber E. Rosenstock, Sav. Z. Germ. Abt. XLIX (1929), 516 zu.
Die Belege zu diesem Abschnitt übersieht man leicht in dem Variantenapparat
der im Abschn. IV zusammengestellten Gebete.
2*
19
Eine epochemachende Wendung zugunsten der römischen
Liturgie bedeutet der welthistorische Bund des Papsttums mit den
Franken in der Zeit Pippins des Jüngeren. Der erste karolingische
König, vom Papste legitimiert, patricius Romanorum und Schutz-
herr der römischen Kirche, wollte ■— offenbar aus religiösen Motiven
— die Liturgie seiner Staatskirche vereinheitlichen und nach römi-
schem Vorbilde umgestalten. Zu diesem Zweck verschaffte man
sich ein römisches Sakramentar, dessen Bestand allerdings in Born
selbst längst antiquiert gewesen sein muß. Deshalb nahmen die
Bearbeiter des neuen römisch-fränkischen Meßbuches zur Ergän-
zung ein gallikanisiertes Gelasianum hinzu und stellten aus diesen
und ähnlich gearteten Vorlagen in den fünfziger Jahren des 8. Jahr-
hunderts ein Sakramentar her, das in der Forschung als Sacramen-
tarium Gelasianum saeculi octavi oder jüngeres Gelasianum bezeich-
net zu werden pflegt. Dieser neue Typus hat auch auf die Inseln
hinübergewirkt und stellt einen bedeutsamen Schritt in der Ro-
manisierung der Liturgie dar1.
Den römischen Bitus nahmen die christlichen Völker des Nor-
dens und Westens also mehr und mehr an. Was aber mögen sie
hei den Gebeten für das römische Reich und die römischen Fürsten,
den römischen Frieden und die römische Freiheit empfunden haben ?
Gehen wir die Handschriften durch, so finden wir das „römisch“
noch zuweilen wieder, häufiger ist aber ein „fränkisch“ oder „christ-
lich“ ergänzend hinzugesetzt, gar oft sogar das „römisch“ ganz
weggelassen2. Dürfen wir nun überall, wo wir vom römischen
1 Zur Pippinischen Liturgiereform brauche ich nur die vortreffliche
Arbeit von Th. Klauser, Die liturgischen Austauschbeziehungen zwischen
der römischen und der fränkisch-deutschen Kirche vom 8. bis 11. Jahr-
hundert, Hist. Jb. LI11 (1933), 169ff. anzuführen. Dort werden die bisherigen
Forschungen aufs klarste dargelegt und wertvolle neue Ergebnisse erarbeitet.
2 Wenn Heldmann, Kaisertum Karls d. Gr., S. 36f. es für sicher hält,
daß es in der vorpippinischen Liturgie des Frankenreiches kein Kirchengebet
für den römischen Kaiser mehr gegeben habe, so dürfte er vielleicht doch das
Gewicht der wenigen Stellen, die etwas vom römischen Reich sagen, unter-
schätzen (vgl. u. S. 30 f.). Denn aus dieser Frühzeit sind liturgische Denkmäler
uns nur so spärlich überliefert, daß wir dasjenige, was überhaupt auf uns ge-
kommen ist, als Repräsentant von ursprünglich weiter verbreiteten Texten
nehmen müssen. Daß solche Stellen allerdings noch nicht die Vorstel-
lung von der Fortdauer des römischen Reiches erweisen, gebe ich Heldmann
S. 42 gegenüber E. Rosenstock, Sav. Z. Germ. Abt. XLIX (1929), 516 zu.
Die Belege zu diesem Abschnitt übersieht man leicht in dem Variantenapparat
der im Abschn. IV zusammengestellten Gebete.
2*