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Tellenbach, Gerd; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 1. Abhandlung): Roemischer und christlicher Reichsgedanke in der Liturgie des fruehen Mittelalters — Heidelberg, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.40170#0032
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Gerd Tellenbach:

gelasianischen Sakramentar des 8. Jahrhunderts entnahm1. Dabei
führte er für die Reichsbegriffe regelmäßig statt der fränkischen
oder römischen Benennung die christliche ein. Das ist zwar nichts
schlechthin Neues2, weil auch schon in voralkuinischen Sakramen-
taren das „christlich“ gebraucht wurde3, immerhin zeigt sich bei
Alkuin deutlich, daß der christliche Reichsgedanke des Mittelalters
zur Herrschaft gekommen ist und auf allen Gebieten des politischen
und geistigen Lebens seine mächtige Wirksamkeit entfaltet.
Diese allgemeingeschichtliche Entwicklung kommt also in den
Meßgebeten, die sich in den Handschriften des 9. und 10. Jahr-
hunderts finden, zu völlig eindeutigem Ausdruck. Ein Blick auf
die Statistik, die von den Varianten der im vierten Teil abgedruckten
Gebete geliefert wird, bietet den schlüssigen Beweis dafür. Es sind
nur verschwindend wenige Fälle, in denen eine andere als die christ-
liche Bezeichnung vorkommt. Ausnahmen findet man wirklich oft
nur im Karfreitagsgebet für den Kaiser oder König oder in den
Gebeten ,,Omnipotens deus“ und ,,Nostris quaesumus“. Die Ursache
dafür ist bereits nachgewiesen worden: die drei Gebete kommen
mit dem römischen Beiwort im Aachener Ur- und Musterexemplar
vor4. Bei dem Karfreitagsgebet müssen wir noch ein wenig verwei-
len. Denn in ihm wird, nach 800 wie vorher, das Romanorum oder
Romanum Imperium verhältnismäßig häufig ergänzt durch Fran-
corum, im Pontifikale Roberts von Jumieges aus dem 10. Jahr-
hundert steht sogar Anglorum5. Wie kommt es, daß gerade in
diesem Gebet sich ein nationales Attribut soviel häufiger findet als
sonst ? Empfand man vielleicht das Romanum nicht mehr so stark
als universale Bezeichnung wie das Christianum und hielt sich des-
halb für berechtigt oder genötigt, es der staatsrechtlichen Wirk-
1 Vgl. Lietzmann, Liturgiegeschichtl. Quellen III, S. XVIIIff.; F. Ca-
brol, Les Berits liturgiques d’Alcuin, Revue d’hist. eccl. XIX (1923), 516f.;
Klauser, a. a. O., S. 180f.
2 Näheres darüber vgl. zu Beginn des folgenden Abschnitts.
3 Die rein christliche Bezeichnung hat das Sakramentar von Gellone
in den Gebeten nr. 4, 9 und 12, das Sakramentar Phillipps in nr. 9 unseres
vierten Abschnitts. Daß Alcuin im gesamten einer längeren Entwicklung
steht und nicht unvermittelt Neues einführt, geht noch deutlicher daraus
hervor, daß in verschiedenen Hss. Übergangsformen wie Christianum Franco-
rum Romanorumque, Christianorum Romanus, Christianorum Francorum
stehen. Vgl. die Sakramentare von Luxeuil, Reims, Straßburg, Philipps, An-
gouleme, Tours (TI) in den Gebeten nr. 2, 4, 9 u. 12.
4 Vgl. o. S. 25.
5 Vgl u. S. 53 nr. 2.
 
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