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Tellenbach, Gerd; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 1. Abhandlung): Roemischer und christlicher Reichsgedanke in der Liturgie des fruehen Mittelalters — Heidelberg, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.40170#0042
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36

Gerd Tellenbach:

Daß er es war, der die geistige Welt Karls des Großen und seiner
Franken, denen der Kaisergedanke der Römer völlig fernlag, vor
dem Epochenjalir von 800 beherrschte, daß sie aus ihm hohes Selbst-
bewußtsein und starke Antriebe für ihre Großmachtpolitik schöpf-
ten, darüber können kaum noch Zweifel bestehen. Aber kommen
solche Ideen als Grundlagen für das mittelalterliche Kaisertum, wie
es mit Karl dem Großen begründet wurde, in Betracht ? Oder
grundsätzlicher: was hat eigentlich das imperium christianum ur-
sprünglich mit dem mittelalterlichen Kaisergedanken zu tun ? Diese
Frage ergibt sich mit Notwendigkeit aus der vergleichenden Be-
trachtung des römischen und christlichen Reichsgedankens, und zu
ihrer Lösung wird die Liturgie einiges beitragen können. Deshalb
soll sie hier wenigstens kurz ins Auge gefaßt werden.
Es ist geschildert worden, wie die Hauptbegriffe des römischen
Imperialismus, dessen Ziel die Unterwerfung des Barbarentums
unter die Herrschaft der Zivilisation und der Gesittung ist, von der
christlichen Liturgie aufgenommen worden sind. Der antike Im-
perialismus hatte in der Zeit der Vereinigung von römischem und
christlichem Universalismus allerdings eine Umbildung seines We-
sens erfahren. Unter Schutz und Erweiterung des römischen Rei-
ches wurde nun Ausbreitung und Verteidigung des christlichen
Glaubens verstanden, und die Barbaren waren nicht mehr die
wilden Randvölker, sondern in der Regel die Heiden1. Diese Wand-
lung läßt sich beispielsweise sehr klar im Register Gregors des
Großen erkennen, wo sogar zuweilen ähnliche Wendungen Vor-
kommen wie in den liturgischen Kriegs- und Friedensgebeten2. Die
imperialistische Auffassung in ihrer christlichen Form ist aber auch
schon einem Römer des frühen Merovingerreiches wie Gregor von
Tours geläufig gewesen, der von gentes vestra pace conterritae spricht
und damit beweist, daß ihm die pax ganz im römischen Sinn Herr-
schaft und Macht bedeuten kann und die Gegner im Kampfe die

1 Vgl. Pfeil, Romidee, S. 46; Hirsch, Kaisergedanke, S. 4.
2 Vgl. Gregor I, Reg. I 73 (Epp. I 94): petimus dominum, qui eminentiam
vestram pro solatio sanctae rei publicae misericorditer protegat et ad dilatandum
per finitimas gentes nomen eins magis magisque brachii sui firmitate confortet;
ebenda S. 93: .... sed dilatandae causa rei publicae, in qua Deum coli
conspicimus, loquitur, quatenus Christi nomen per subditas gentes fidei prae-
dicatione circumquaque discurrat; ebenda I 16 a (S. 18): quousque compressis
gentibus ad libertatem omnes sacerdotes concilii sub sancta re publica pervenirent;
(S. 20): et credimus devictis gentibus ad pristinam libertatem reduci.
 
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