I.
Platons Wirkung auf die Nachwelt beruht auf der von Sokrates
entfachten und von Platon durchgeführten Revolution, durch
welche der Philosophie die Bestimmung gegeben wurde, die ver-
nünftige Seele des Menschen im reinen Sein heimisch zu machen.
Daher kam es, daß in der Geistesgeschichte des Abendlandes
Rückkehr zum Platonismus allezeit einen Akt von Selbstbesinnung
der Philosophie auf ihre erste, ursprüngliche Zielsetzung und Sinn-
findung bedeutete, bei Proklos und den Platonisten des Mittel-
alters, in Florenz und Cambridge, bei Kant und in der Dialektik
des deutschen Idealismus. Dabei aber wertete der jeweilige Pla-
tonismus die verschiedenen Werke des Philosophen, als Zeugnisse
für Platons grundsätzliche Positionen, sehr verschieden. Mit dem
Timaios als der weltlichen Bibel christli her Philosophie trat in
der Renaissance das Symposion in Wettbewerb; für die Aufklärung
wurde der Phaidon exemplarisch; die Funktion der Idee in der
transzendentalen Dialektik zeigte die Wirkungen der Politeia.
Platons eigenes Werk aber hatte nicht zerstückelt, sondern als
Ganzes wirken wollen1. Was man bald nach Platons Lebzeiten
schematisch als das "System’ der Philosophie hinstellte: Logik,
Physik, Ethik (mit Einschluß der Politik), das hatte bei Platon
selbst seine innere Motivation und Grundlegung durch den Lebens-
1 Das zeigen noch die Gesetze, in denen die neue Aufgabe, die Platon
sich hier stellte (den Philosophen statt als Regenten als Gesetzgeber auftreten
zu lassen), ihn nicht hinderte, die alten systembildenden Faktoren aus der
Politeia-Philosophie gerade an den zentralen Stellen wieder anklingen zu
lassen. Platons Entwicklung war zwar mitbestimmt durch die immer neuen
Fragestellungen, die seine wechselvolle Erfahrung ihm bot; aber es gibt kein
wesentliches Moment seiner Prinzipienlehre, das er erweislich preisgegeben
hätte; nur muß für jede Schrift die besondere Themastellung verstanden
werden. Die neueren Versuche seit Nietzsche, aus Platons Leben eine wider-
spruchsvolle, in Resignation und Agnostizismus endende Biographie zu ma-
chen, deren Aporien erst durch Aristoteles ihre wissenschaftbegründende Auf-
lösung gefunden hätten, zeigen, daß die Scheingründe für die früheren Athe-
tesen grundlegender Spätwerke Platons immer noch ihrem Verständnis ent-
gegenstehen. Für wie abschließend die Gesetze zu gelten haben, zeigt z. B.
X, 903.
1 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad.. phil.-hist. Kl. 1934/35. 2. Abh.
Platons Wirkung auf die Nachwelt beruht auf der von Sokrates
entfachten und von Platon durchgeführten Revolution, durch
welche der Philosophie die Bestimmung gegeben wurde, die ver-
nünftige Seele des Menschen im reinen Sein heimisch zu machen.
Daher kam es, daß in der Geistesgeschichte des Abendlandes
Rückkehr zum Platonismus allezeit einen Akt von Selbstbesinnung
der Philosophie auf ihre erste, ursprüngliche Zielsetzung und Sinn-
findung bedeutete, bei Proklos und den Platonisten des Mittel-
alters, in Florenz und Cambridge, bei Kant und in der Dialektik
des deutschen Idealismus. Dabei aber wertete der jeweilige Pla-
tonismus die verschiedenen Werke des Philosophen, als Zeugnisse
für Platons grundsätzliche Positionen, sehr verschieden. Mit dem
Timaios als der weltlichen Bibel christli her Philosophie trat in
der Renaissance das Symposion in Wettbewerb; für die Aufklärung
wurde der Phaidon exemplarisch; die Funktion der Idee in der
transzendentalen Dialektik zeigte die Wirkungen der Politeia.
Platons eigenes Werk aber hatte nicht zerstückelt, sondern als
Ganzes wirken wollen1. Was man bald nach Platons Lebzeiten
schematisch als das "System’ der Philosophie hinstellte: Logik,
Physik, Ethik (mit Einschluß der Politik), das hatte bei Platon
selbst seine innere Motivation und Grundlegung durch den Lebens-
1 Das zeigen noch die Gesetze, in denen die neue Aufgabe, die Platon
sich hier stellte (den Philosophen statt als Regenten als Gesetzgeber auftreten
zu lassen), ihn nicht hinderte, die alten systembildenden Faktoren aus der
Politeia-Philosophie gerade an den zentralen Stellen wieder anklingen zu
lassen. Platons Entwicklung war zwar mitbestimmt durch die immer neuen
Fragestellungen, die seine wechselvolle Erfahrung ihm bot; aber es gibt kein
wesentliches Moment seiner Prinzipienlehre, das er erweislich preisgegeben
hätte; nur muß für jede Schrift die besondere Themastellung verstanden
werden. Die neueren Versuche seit Nietzsche, aus Platons Leben eine wider-
spruchsvolle, in Resignation und Agnostizismus endende Biographie zu ma-
chen, deren Aporien erst durch Aristoteles ihre wissenschaftbegründende Auf-
lösung gefunden hätten, zeigen, daß die Scheingründe für die früheren Athe-
tesen grundlegender Spätwerke Platons immer noch ihrem Verständnis ent-
gegenstehen. Für wie abschließend die Gesetze zu gelten haben, zeigt z. B.
X, 903.
1 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad.. phil.-hist. Kl. 1934/35. 2. Abh.