Platonismus und Mystik im Altertum.
33
konvertierte Platonismus jene drei Schulrichtungen zu drei beson-
deren Lehrauffassungen:
Erstens die stoische Richtung: Das ideell-Göttliche, jetzt
heraklitisch Logos genannt, hat sich selbst aus Einheit zur Vielheit
umgestaltet, indem es sich ausgesamt hat, und zwar dies in zwei-
facher Hinsicht: Einerseits ist es als regierendes Weltprinzip,
d. h. als Inbegriff der Naturgesetzlichkeit, als Plan und Sinn durch-
gehender Regelmäßigkeit des Geschehens, in den materiellen
Weltleib selber eingegangen und durchwaltet ihn ständig, so daß
er dieser Ordnung auf Grund unverbrüchlicher Kausalität unter-
liegt1; und andererseits hat das Göttliche sich keimhaft, samenhaft
bei der Weltschöpfung in die menschlichen Seelen hineingesenkt,
um hier zu wirken, um in den Seelen zu persönlicher, aktiver,
subjektiver Vernunft entwickelt zu werden und um so die Menschen
dahin zu führen, daß sie in ihrem Gemeinschaftsleben einen zweiten
Kosmos, eine Welt der Kultur, erschaffen. Die Keimkräfte des
Logos sind also, kosmologisch betrachtet, als Formprinzipien
dauernd im natürlichen Universum; anthropologisch betrachtet
wirkten sie als etwas Göttliches, Ur-Anfängliches, platonisch ge-
sprochen als reine Ideen, unserer faktischen Menschengeschichte
voraus2. War nun der Logos demgemäß ursprünglich ungetrübt
und hell in uns als Inbegriff aller jener Ideen, die wir verwirklichen
sollen im moralischen und kulturellen Leben, und ist das Licht
dieser Ideen erst im Laufe der Geschichte durch unsern schuldhaften
Unverstand trübe geworden, so gilt es, die Flamme wieder zu läu-
tern. Wer es vermag, erneuert das Göttliche in sich, wird Eins
mit seinem Logos, ia er bewährt und bringt an den Tag, daß die
Seele des Weisen von Haus aus gotthaft ist.
Fragen wir, wie diese pantheistische Philosophie der späteren
Stoa3, von einer bestimmten Phase ihres geschichtlichen Daseins an,
Platonische Lehrstücke ihrem System einverleihen, ja sich als Fort-
bildnerin des Platonismus betrachten konnte, so fällt zunächst mehr
1 In diesem Sinne sagt der Hymnus des Kleanthes:
Zeö, fflücsecoi; apyyys, vopou [aetoc toxvtoc xußepvcov. . .
co8s yap eie, ev -avxa 0uvypp.0y.at; sa-frka y.axoiaiv,
coat)’ sva yiyveaSm ttocvtmv Zoyov alev sovva.
2 Vgl. Cicero, Tuscul. III, 1 ff., und die von Schmeckel, Philos. d.
mittl. Stoa, S. 257—263 benutzten Stellen aus Galenus De plac. Hippocr.
et Platonis.
3 Vgl. E. Zeller4, III, 1, S. 142f.
3 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1934/35. 2. Abh.
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konvertierte Platonismus jene drei Schulrichtungen zu drei beson-
deren Lehrauffassungen:
Erstens die stoische Richtung: Das ideell-Göttliche, jetzt
heraklitisch Logos genannt, hat sich selbst aus Einheit zur Vielheit
umgestaltet, indem es sich ausgesamt hat, und zwar dies in zwei-
facher Hinsicht: Einerseits ist es als regierendes Weltprinzip,
d. h. als Inbegriff der Naturgesetzlichkeit, als Plan und Sinn durch-
gehender Regelmäßigkeit des Geschehens, in den materiellen
Weltleib selber eingegangen und durchwaltet ihn ständig, so daß
er dieser Ordnung auf Grund unverbrüchlicher Kausalität unter-
liegt1; und andererseits hat das Göttliche sich keimhaft, samenhaft
bei der Weltschöpfung in die menschlichen Seelen hineingesenkt,
um hier zu wirken, um in den Seelen zu persönlicher, aktiver,
subjektiver Vernunft entwickelt zu werden und um so die Menschen
dahin zu führen, daß sie in ihrem Gemeinschaftsleben einen zweiten
Kosmos, eine Welt der Kultur, erschaffen. Die Keimkräfte des
Logos sind also, kosmologisch betrachtet, als Formprinzipien
dauernd im natürlichen Universum; anthropologisch betrachtet
wirkten sie als etwas Göttliches, Ur-Anfängliches, platonisch ge-
sprochen als reine Ideen, unserer faktischen Menschengeschichte
voraus2. War nun der Logos demgemäß ursprünglich ungetrübt
und hell in uns als Inbegriff aller jener Ideen, die wir verwirklichen
sollen im moralischen und kulturellen Leben, und ist das Licht
dieser Ideen erst im Laufe der Geschichte durch unsern schuldhaften
Unverstand trübe geworden, so gilt es, die Flamme wieder zu läu-
tern. Wer es vermag, erneuert das Göttliche in sich, wird Eins
mit seinem Logos, ia er bewährt und bringt an den Tag, daß die
Seele des Weisen von Haus aus gotthaft ist.
Fragen wir, wie diese pantheistische Philosophie der späteren
Stoa3, von einer bestimmten Phase ihres geschichtlichen Daseins an,
Platonische Lehrstücke ihrem System einverleihen, ja sich als Fort-
bildnerin des Platonismus betrachten konnte, so fällt zunächst mehr
1 In diesem Sinne sagt der Hymnus des Kleanthes:
Zeö, fflücsecoi; apyyys, vopou [aetoc toxvtoc xußepvcov. . .
co8s yap eie, ev -avxa 0uvypp.0y.at; sa-frka y.axoiaiv,
coat)’ sva yiyveaSm ttocvtmv Zoyov alev sovva.
2 Vgl. Cicero, Tuscul. III, 1 ff., und die von Schmeckel, Philos. d.
mittl. Stoa, S. 257—263 benutzten Stellen aus Galenus De plac. Hippocr.
et Platonis.
3 Vgl. E. Zeller4, III, 1, S. 142f.
3 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1934/35. 2. Abh.