Platonismus und Mystik im Altertum.
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mal in größtem Maßstabe Philosophie des ‘Einen und Vielen’ zu
geben. Wie ihn sein Schüler, Nachfolger und Biograph Marinos1 ge-
schildert hat, so müssen auch wir ihn auffassen: Er fühlte Weis-
heit und Wunderkraft in seiner eigenen Person mystisch geeint. Von
hier aus muß man auch sein Werk verstehen. Er beabsichtigte, in
seinem System aus der Tiefe heraus die Einheit von Wissenschaft
und Magie, von Philosophie und Priestertum, von mathematischer
Einsicht und visionärem Erleben zu erweisen. Und diesem Vor-
haben folgte er mit Leidenschaft, weil er in der so erstrebten Einheit
die einzige Position erblickte, die sich dem siegreichen Christentum
gegenüber noch als Bollwerk der Verfolgten im Bereich des Geisti-
gen behaupten konnte. Niemals hat sich in einer Philosophie deut-
licher die Situation einer Umwelt gespiegelt als im System des Pro-
klos der Endkampf gegen das Christentum. Solidarität des vor-
christlichen Geistes unter Führung hellenischer Philosophie: Sollte
dies Unternehmen einen Sinn haben, so durfte nicht weniger als der
gesamte Heerbann von Kräften aufgeboten werden, den die antike
Welt zur Verfügung hatte.
Wenn Proklos als Jüngling in der lykischen Heimat seiner
Eltern von den Priestern alter Kulte für den Kampf gegen die neue
Beligion gewonnen war, und wenn er sich auf seinen weiten Beisen
durch das Studium aller Kulte, Orakel und Mysterien für diesen
Kampf gewappnet hatte, so konnte er später, als Vorsteher der
athenischen Akademie, die Mission des Platonismus schwerlich in
etwas anderem sehen als darin, in scharf geschliffener Dialektik die
Hauptwaffe gegen jenen neuen Glauben zu bieten, mit dessen Siege
der Untergang der hellenischen Geisteskultur besiegelt schien. Da-
her bildete Proklos den Gedanken bis in alle Folgerungen aus, daß
die vorchristliche Welt dessen, was wir Heidentum nennen, grund-
sätzlich Eine Welt war, ihre Beligionen Eine Religion, ihr Wissen,
Wollen und Können Ableitung aus Einer und derselben philosophi-
schen und theologischen Grundhaltung. Das war folgerichtig das
Fazit des Synkretismus, das Fazit der schon von der Stoa gegebenen
Weisung, in der Vielheit aller religiösen vopm nur Varianten des
Glaubens an Eine göttliche cpuct.? zu sehen. Schon der Syrer Jam-
blichos hatte versucht, pythagoreische und babylonische Weisheit
in Eins zu setzen; aber Proklos machte ganze Arbeit2 und suchte
1 Marini vita Procli rec. Boissonade, Leipzig 1814. Nachdruck des
Textes (ohne Noten) in Cobets Diogenes Laertius.
2 Marinus 22: xocaav piv hsoyoYiav s}.}a]V!,xr]V te xal ßapßapiX7)V xal tyjv
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mal in größtem Maßstabe Philosophie des ‘Einen und Vielen’ zu
geben. Wie ihn sein Schüler, Nachfolger und Biograph Marinos1 ge-
schildert hat, so müssen auch wir ihn auffassen: Er fühlte Weis-
heit und Wunderkraft in seiner eigenen Person mystisch geeint. Von
hier aus muß man auch sein Werk verstehen. Er beabsichtigte, in
seinem System aus der Tiefe heraus die Einheit von Wissenschaft
und Magie, von Philosophie und Priestertum, von mathematischer
Einsicht und visionärem Erleben zu erweisen. Und diesem Vor-
haben folgte er mit Leidenschaft, weil er in der so erstrebten Einheit
die einzige Position erblickte, die sich dem siegreichen Christentum
gegenüber noch als Bollwerk der Verfolgten im Bereich des Geisti-
gen behaupten konnte. Niemals hat sich in einer Philosophie deut-
licher die Situation einer Umwelt gespiegelt als im System des Pro-
klos der Endkampf gegen das Christentum. Solidarität des vor-
christlichen Geistes unter Führung hellenischer Philosophie: Sollte
dies Unternehmen einen Sinn haben, so durfte nicht weniger als der
gesamte Heerbann von Kräften aufgeboten werden, den die antike
Welt zur Verfügung hatte.
Wenn Proklos als Jüngling in der lykischen Heimat seiner
Eltern von den Priestern alter Kulte für den Kampf gegen die neue
Beligion gewonnen war, und wenn er sich auf seinen weiten Beisen
durch das Studium aller Kulte, Orakel und Mysterien für diesen
Kampf gewappnet hatte, so konnte er später, als Vorsteher der
athenischen Akademie, die Mission des Platonismus schwerlich in
etwas anderem sehen als darin, in scharf geschliffener Dialektik die
Hauptwaffe gegen jenen neuen Glauben zu bieten, mit dessen Siege
der Untergang der hellenischen Geisteskultur besiegelt schien. Da-
her bildete Proklos den Gedanken bis in alle Folgerungen aus, daß
die vorchristliche Welt dessen, was wir Heidentum nennen, grund-
sätzlich Eine Welt war, ihre Beligionen Eine Religion, ihr Wissen,
Wollen und Können Ableitung aus Einer und derselben philosophi-
schen und theologischen Grundhaltung. Das war folgerichtig das
Fazit des Synkretismus, das Fazit der schon von der Stoa gegebenen
Weisung, in der Vielheit aller religiösen vopm nur Varianten des
Glaubens an Eine göttliche cpuct.? zu sehen. Schon der Syrer Jam-
blichos hatte versucht, pythagoreische und babylonische Weisheit
in Eins zu setzen; aber Proklos machte ganze Arbeit2 und suchte
1 Marini vita Procli rec. Boissonade, Leipzig 1814. Nachdruck des
Textes (ohne Noten) in Cobets Diogenes Laertius.
2 Marinus 22: xocaav piv hsoyoYiav s}.}a]V!,xr]V te xal ßapßapiX7)V xal tyjv