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Dragendorff, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1935/36, 2. Abhandlung): Arretina — Heidelberg, 1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.41985#0006
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Hans Dragendorff:

Töpfers Annius oder eines seiner Arbeiter. Ich will das hier nur
kurz als These hinstellen, da ich in Bälde Gelegenheit haben werde,
eingehend die Arbeitsweise dieser Handwerker zu charakterisieren.
Gerade für ihre guten Figurencyklen läßt sich nachweisen, daß
sie zu ihrer Zeit bekannte Vorbilder kopieren, wenn wir diese bei
der Lückenhaftigkeit unserer Überlieferung auch nur Zum Teil
nachweisen können. Sie kopieren wie die neuattischen Künstler,
bald treu, bald frei; sie schaffen sich wie diese zu Figuren Gegen-
stücke; sie deuten um. Aber schon allein die Verschiedenheit des
Stiles der Figuren eines und desselben Arbeiters zeigt, daß auch
die besten unter ihnen doch nur nachschaffende Kunsthandwerker
sind, keine schöpferischen Künstler. Auch Cerdo, der früheste
und feinste der Arbeiter der Töpferei des Perennius, bringt auf
seinen Gefäßen archaistische Typen (z. B. die Figuren des Ki-
tharödenreliefs), Figuren im Stil des ausgehenden 5. Jahrhunderts
(z. B. die Kalathiskostänzerinnen, die Mänaden), hellenistische Ty-
pen (Dionysisches Opfer, Satyrn usw.), kurz er arbeitet ganz in
der Weise der ,.neuattischen Künstler“ des 1. vorchristlichen Jahr-
hunderts, die sich ja auch weder auf klassische oder archaische
Vorbilder beschränken, noch sich scheuen, Typen verschiedenen
Stils auf ein und demselben Monument zusammenzustellen. Je
weniger selbständig diese Töpfer schaffen, desto wichtiger kann uns
werden, was sie uns überliefern, weil uns dadurch sonst verlorenes
Kunstgut erhalten geblieben ist. So glaube ich, daß auch in den
Niobiden ein schönes Werk älterer Kunst nachklingt. Ejne sehr
ausdrucksvolle Figur ist das in die Knie gesunkene Mädchen (I),
das den Arm klagend emporstreckt, schön die Gruppe des Bruders,
der die erschlaffend zu Boden sinkende Schwester stützt und dabei
entsetzt in die Höhe blickt, woher die totbringenden Pfeile herab-
schwirren. Gute Figuren sind auch der federnd zurückprallende (IV)
wie der Kniende(V), der sich mit dem Mantel wie mit einem Schilde
gegen die Geschosse zu decken sucht. Es ist eigentlich jede Figur
ausdrucksvoll. An der Richtigkeit der Deutung der Figuren auf
Niobiden scheint mir nicht zu zweifeln: Jünglinge und Mädchen,
teils getroffen hinsinkend, teils fliehend, teils sich gegen die tot-
bringenden von oben kommenden Geschosse deckend — wer könnten
sie anders sein ?
Die Feststellung dieses Niobidencyklus ist um so interessanter,
als er mit keinem der sonstigen uns überlieferten übereingeht . Die Nio-
biden haben gerade in neuester Zeit die Archäologie lebhaft interes-
 
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