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IIans DragIndorff:
und ich glaube, daß Adolf Michaelis seinerzeit das Relief der
Kleomenesara richtiger beurteilt hat1.
Alles was wir über das Bild des Timanthes durch Cicero,
Valerius Maximus, Quintilian, Plimus usw. erfahren, geht auf eine
Quelle, und zwar eine rhetorische, nicht eine kunstgeschichtliche,
zurück. Ihrem Verfasser kam es darauf an, in seiner Beschreibung
die Steigerung des Schmerzes der bei dem Opfer Anwesenden rheto-
risch pointiert bis zu dem Höhepunkt zu führen, den er im Vater
des Opfers, Agamemnon, erreichte: da der Künstler hier zur Steige-
rung des Ausdruckes im Gesicht des Vaters keine Mittel mehr fand,
verhüllte er dessen Haupt. An Tatsächlichem erfahren wir nur
weniges: Gewählt war der Augenblick unmittelbar vor dem Opfer.
Iphigenie stand am Altar. Anwesend waren Ivalchas, Odysseus,
Menelaos, Agamemnon, letzterer mit verhülltem Haupt2. Das ist
alles. Kein Wort über die Bildkomposition, die Gruppierung der
einzelnen Figuren miteinander, über bezeichnende Gesten oder
ähnliches.
Was gibt demgegenüber die Kleomenesara? Zunächst eine
festzusammengeschlossene Dreifigurengruppe: Iphigenie in stiller
Gefaßtheit, die rechte Hand sinnend ans Kinn gelegt, leise den
Schritt hemmend, in zartester Berührung geleitet und gestützt von
einem Jüngling, der hinter ihr steht. Vor ihr Ivalchas, die Todes-
weihe durch Abschneiden der Stirnlocke vollziehend3. Ferner rechts,
von der Gruppe abgewendet an einem Baume stehend, Agamemnon,
der den Mantel übers Haupt gezogen hat, das er in die rechte Hand
stützt. Links einen Opferdiener mit einem Fruchtkorb. Außer dem
Stehen der Iphigenie, und der selbstverständlichen Anwesenheit des
Ivalchas, ist der verhüllte Vater der einzige tatsächliche Zug, den
das Relief mit der Beschreibung des Timanthesbildes gemeinsam
1 RM. 1893, 201 ff.
2 Der nur bei Valerius Maximus VIII, 11 genannte Aias ist wohl mit
Recht als Einschiebsel erkannt.
3 Klein, Geschichte der griech. Kunst II, 238f. glaubt, daß dieses feine
Motiv erst von dem späten Kopisten hineininterpoliert sei, und Kjellberg,
Pauly-Wissowa IX, 2619 folgt ihm darin. Damit fiele alles fort, was die Deu-
tung der Dreifigurengruppe auf das Iphigenienopfer ermöglicht, und Klein
deutet denn auch das Relief anders. Das Motiv der Lockenweihe ist aber nicht
nur durch die Kleomenesara, die beiden Arretinischen Scherben und das
Elfenbeinrelief gesichert, sondern findet sich auch auf geschnittenen Steinen,
die die Dreiergruppe oder auch nur Ivalchas und Iphigenie ähnlich, aber im Ge-
gensinn geben. Furtwängler, Berliner Gemmen, 788 — 790.
IIans DragIndorff:
und ich glaube, daß Adolf Michaelis seinerzeit das Relief der
Kleomenesara richtiger beurteilt hat1.
Alles was wir über das Bild des Timanthes durch Cicero,
Valerius Maximus, Quintilian, Plimus usw. erfahren, geht auf eine
Quelle, und zwar eine rhetorische, nicht eine kunstgeschichtliche,
zurück. Ihrem Verfasser kam es darauf an, in seiner Beschreibung
die Steigerung des Schmerzes der bei dem Opfer Anwesenden rheto-
risch pointiert bis zu dem Höhepunkt zu führen, den er im Vater
des Opfers, Agamemnon, erreichte: da der Künstler hier zur Steige-
rung des Ausdruckes im Gesicht des Vaters keine Mittel mehr fand,
verhüllte er dessen Haupt. An Tatsächlichem erfahren wir nur
weniges: Gewählt war der Augenblick unmittelbar vor dem Opfer.
Iphigenie stand am Altar. Anwesend waren Ivalchas, Odysseus,
Menelaos, Agamemnon, letzterer mit verhülltem Haupt2. Das ist
alles. Kein Wort über die Bildkomposition, die Gruppierung der
einzelnen Figuren miteinander, über bezeichnende Gesten oder
ähnliches.
Was gibt demgegenüber die Kleomenesara? Zunächst eine
festzusammengeschlossene Dreifigurengruppe: Iphigenie in stiller
Gefaßtheit, die rechte Hand sinnend ans Kinn gelegt, leise den
Schritt hemmend, in zartester Berührung geleitet und gestützt von
einem Jüngling, der hinter ihr steht. Vor ihr Ivalchas, die Todes-
weihe durch Abschneiden der Stirnlocke vollziehend3. Ferner rechts,
von der Gruppe abgewendet an einem Baume stehend, Agamemnon,
der den Mantel übers Haupt gezogen hat, das er in die rechte Hand
stützt. Links einen Opferdiener mit einem Fruchtkorb. Außer dem
Stehen der Iphigenie, und der selbstverständlichen Anwesenheit des
Ivalchas, ist der verhüllte Vater der einzige tatsächliche Zug, den
das Relief mit der Beschreibung des Timanthesbildes gemeinsam
1 RM. 1893, 201 ff.
2 Der nur bei Valerius Maximus VIII, 11 genannte Aias ist wohl mit
Recht als Einschiebsel erkannt.
3 Klein, Geschichte der griech. Kunst II, 238f. glaubt, daß dieses feine
Motiv erst von dem späten Kopisten hineininterpoliert sei, und Kjellberg,
Pauly-Wissowa IX, 2619 folgt ihm darin. Damit fiele alles fort, was die Deu-
tung der Dreifigurengruppe auf das Iphigenienopfer ermöglicht, und Klein
deutet denn auch das Relief anders. Das Motiv der Lockenweihe ist aber nicht
nur durch die Kleomenesara, die beiden Arretinischen Scherben und das
Elfenbeinrelief gesichert, sondern findet sich auch auf geschnittenen Steinen,
die die Dreiergruppe oder auch nur Ivalchas und Iphigenie ähnlich, aber im Ge-
gensinn geben. Furtwängler, Berliner Gemmen, 788 — 790.