6
Arnold von Salis:
sischen Exemplaren kein anderes Beispiel mehr. Auf niedrigen
Sockeln stehen zwei Gestalten einander gegenüber, Mann und Frau.
Ersterer mit weiter Schrittstellung und in bewegter Haltung, den
Oberkörper vorgebeugt. Die ganze Figur ist, bis auf das bärtige
Gesicht, in voller Silhouette gemalt. Auf dem, Kopf ein Helm,
dessen Bügel den oberen Bildrand schneidet; der Nackenschirm
ist deutlich erkennbar. An den Füßen Stiefel mit hohem Schaft.
Sonst scheint Bekleidung nicht angegeben zu sein. Ob die schwa-
chen Spuren in der Hüftengegend von einem Lendenschurz stam-
men, läßt sich bei der Korrosion der Oberfläche kaum mehr ent-
scheiden. Payne S. 287 hat an den Griff eines Schwertes gedacht,
und der kleine Best hinter dem Krieger, nahe der rechten unteren
Bildecke, könnte wohl ein Überbleibsel der Scheide sein. Das Weib
steht ruhig, mit geschlossenen Füßen, den ganzen Körper in Vorder-
ansicht gedreht. Die Musterung des Gewandes in sauberen Umriß-
linien ist mit Sorgfalt wiedergegeben, ebenso der Kopfschmuck, von
dem noch die Bede sein wird. Das Gesicht hat die Frau ihrem
Partner zugekehrt, die beiden blicken sich an und haben die Arme
in gleicher Weise gehoben. Die äußeren Hände sind leer, mit ge-
spreizten Fingern aufwärts gerichtet. Die Hechte des Mannes ist
der Hüfte der Frau genähert, während diese mit ihrer Linken sein
Kinn zu berühren strebt.
Es ist klar, daß wir hier eine weitere Probe, und augenschein-
lich eine höchst wichtige, einer erotischen Szene mit jenem typischen
Gestus der Liebkosung vor uns haben, dem in der eingangs genann-
ten Schrift eine besondere Untersuchung gewidmet war1. Unserer
Darstellung nächst verwandt, ebenfalls kretisch, ist das Bild einer
Liebesbegegnung auf der Kanne aus Afrati (Arkades)2. Auch da
der Griff nach dem Kinn, den diesmal die linke Hand des Mannes
ausführt, während sich seine Hechte, wie auf unserer knossischen
Vase, an die Hüfte der Frau legt. Diese fällt dem Werber in die
Arme und hält beide fest, als sei ihr die zärtliche Annäherung gar
1 ThuA. 6ff., Abb. 1 — 8. Die Veröffentlichung von Payne ist erst nach-
her erschienen; die Vase aus Knossos war schon längere Zeit bekannt, jedoch
nur aus kurzen Erwähnungen in der Fachliteratur (siehe unten).
2 Liverpool Annals 12, 1925, Taf. 6 b; JHS. 44, 1924, 279, Abb. 7, AA,
1925, 342 Abb. 11b; Antike Plastik (Festschrift Amelung) 115 Abb. 2; ThuA.
10, Abb. 8; Annuario a. O. Taf. 23, S. 338 — 341, Abb. 443a—d; 612; Ch.
Hofkes-Brukker, Frühgriech. Gruppenbildung·, Taf. 3, 6, S. 8, 12, 13f.
Zur Zeitbestimmung („nicht lange nach Beginn des 7. Jahrh.“) Kunze, Ivret.
Bronzereliefs 40.
Arnold von Salis:
sischen Exemplaren kein anderes Beispiel mehr. Auf niedrigen
Sockeln stehen zwei Gestalten einander gegenüber, Mann und Frau.
Ersterer mit weiter Schrittstellung und in bewegter Haltung, den
Oberkörper vorgebeugt. Die ganze Figur ist, bis auf das bärtige
Gesicht, in voller Silhouette gemalt. Auf dem, Kopf ein Helm,
dessen Bügel den oberen Bildrand schneidet; der Nackenschirm
ist deutlich erkennbar. An den Füßen Stiefel mit hohem Schaft.
Sonst scheint Bekleidung nicht angegeben zu sein. Ob die schwa-
chen Spuren in der Hüftengegend von einem Lendenschurz stam-
men, läßt sich bei der Korrosion der Oberfläche kaum mehr ent-
scheiden. Payne S. 287 hat an den Griff eines Schwertes gedacht,
und der kleine Best hinter dem Krieger, nahe der rechten unteren
Bildecke, könnte wohl ein Überbleibsel der Scheide sein. Das Weib
steht ruhig, mit geschlossenen Füßen, den ganzen Körper in Vorder-
ansicht gedreht. Die Musterung des Gewandes in sauberen Umriß-
linien ist mit Sorgfalt wiedergegeben, ebenso der Kopfschmuck, von
dem noch die Bede sein wird. Das Gesicht hat die Frau ihrem
Partner zugekehrt, die beiden blicken sich an und haben die Arme
in gleicher Weise gehoben. Die äußeren Hände sind leer, mit ge-
spreizten Fingern aufwärts gerichtet. Die Hechte des Mannes ist
der Hüfte der Frau genähert, während diese mit ihrer Linken sein
Kinn zu berühren strebt.
Es ist klar, daß wir hier eine weitere Probe, und augenschein-
lich eine höchst wichtige, einer erotischen Szene mit jenem typischen
Gestus der Liebkosung vor uns haben, dem in der eingangs genann-
ten Schrift eine besondere Untersuchung gewidmet war1. Unserer
Darstellung nächst verwandt, ebenfalls kretisch, ist das Bild einer
Liebesbegegnung auf der Kanne aus Afrati (Arkades)2. Auch da
der Griff nach dem Kinn, den diesmal die linke Hand des Mannes
ausführt, während sich seine Hechte, wie auf unserer knossischen
Vase, an die Hüfte der Frau legt. Diese fällt dem Werber in die
Arme und hält beide fest, als sei ihr die zärtliche Annäherung gar
1 ThuA. 6ff., Abb. 1 — 8. Die Veröffentlichung von Payne ist erst nach-
her erschienen; die Vase aus Knossos war schon längere Zeit bekannt, jedoch
nur aus kurzen Erwähnungen in der Fachliteratur (siehe unten).
2 Liverpool Annals 12, 1925, Taf. 6 b; JHS. 44, 1924, 279, Abb. 7, AA,
1925, 342 Abb. 11b; Antike Plastik (Festschrift Amelung) 115 Abb. 2; ThuA.
10, Abb. 8; Annuario a. O. Taf. 23, S. 338 — 341, Abb. 443a—d; 612; Ch.
Hofkes-Brukker, Frühgriech. Gruppenbildung·, Taf. 3, 6, S. 8, 12, 13f.
Zur Zeitbestimmung („nicht lange nach Beginn des 7. Jahrh.“) Kunze, Ivret.
Bronzereliefs 40.