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Salis, Arnold [Hrsg.]; Salis, Arnold [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1935/36, 4. Abhandlung): Neue Darstellungen griechischer Sagen, 1: Kreta — Heidelberg, 1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.41987#0037
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Neue Darstellungen griechischer Sagen: I. Kreta.

37

Tat fehlt es in der minoischen Glyptik an Beispielen für die umge-
kehrte Richtung durchaus nicht1. Und die Malerei, deren Kom-
positionsverfahren diese Kleinkunst ohne weiteres folgt, weiß hier
überhaupt von keiner Regel, verhält sich völlig frei. Ja, im ganzen
hat es den Anschein, als würde gerade die Orientierung von rechts
nach links bevorzugt. Wir nennen bloß die bekanntesten Lösungen:
die Stierspringerfresken von Knossos und Tiryns, die Schmalseiten
des Sarkophages von Hagia Triada (Wagenfahrt), während auf den
Langseiten die Richtung beliebig wechselt. Warum sollte es auf
diesen Miniaturbildern anders sein ?
Ein weiterer Grund, der gegen unsere Deutung des Tirynther
Ringes geltend gemacht wurde, betrifft die Abwesenheit des Mino-
tauros2. Warum er fehlt, und auf einem Denkmal der Vorzeit in
Verbindung mit der Ariadne-Legende auch kaum zu erwarten wäre,
habe ich ThuA. 37f. in Kürze dargelegt; mir scheint, daß eine er-
neute Erörterung der Frage an dieser Stelle nicht mehr nötig ist.3
An Bildern des stierköpfigen Ungeheuers auf Denkmälern des zwei-
ten Jahrtausends aus Kreta ist ja kein Mangel; auf die Menschen-
opfer, die ihm dargebracht werden, weist da freilich noch nichts hin.
Der so großes und berechtigtes Aufsehen erregende Fund, der im
Jahre 1933 in einem mykenischen Grab auf der Agora von Athen
gemacht und gleich nach seinem Bekanntwerden als schlagender
Beweis für den minoischen Ursprung der Sage vom Minotauros be-
grüßt wurde, bleibt hier besser aus dem Spiel. Auf jenem kreti-
schen Goldring ist ein nackter Mann von ungewöhnlicher Körper-
größe zu sehen, der zwei Mädchen, an Stricken gefesselt, hinter
sich herzieht. Ob er tatsächlich einen Stierkopf hat, wie die ameri-
kanischen Gelehrten behaupten, läßt sich an Hand der Photographie
nicht entscheiden, und das Original selber bekam ich noch nicht zu
Gesicht4. Nur so viel scheint mir festzustehen, daß der Gedanke an
Kriegsbeute auszuscheiden hat: der riesige Geselle, der keine Waf-
fen, sondern ein szepterartiges Attribut führt, kann kein Krieger,
nur ein dämonisches Wesen sein, und jedenfalls im Bereich kulti-

1 Im Abdruck von rechts nach links z. B. Nilsson, Min.-Myc. Religion
Taf. 1, 1 und der neue Goldring aus Athen (unten Anm. 4).
2 Wilamowitz, Glaube der Hellenen I 412.
3 Vermutungen zu Entstehung und Alter der Minotaurossage bei Shear,
AJA. 27, 1923, 131ff., 149 u. M. Bieber, Gnomon 11, 1933, 256.
4 Shear, AJA. 37, 1933, 540 Abb. 1; Bieber a. O.; dagegen Karo,
AA. 1933, 198.
 
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