Neue Darstellungen griechischer Sagen: I. Kreta.
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ation verlangt wird und die einzig sinngemäße und zweckmäßige
Lösung darstellt, wo alle Personen das gleiche tun und sich demsel-
ben Ziele zubewegen. Also ein Zug, ein Marsch von Kriegern etwa,
ist das Primäre, und erst in einem späteren Stadium der Entwick-
lung verwandelt sich dieser dekorative Figurenfries, und zwar ein-
fach dank den beigeschriebenen Namen, in den Auszug des Menelaos
und seiner Genossen zum trojanischen Krieg1. Auf den Gedanken,
die Hochzeit von Peleus und Thetis durch den feierlichen Gratu-
lationszug der Olympier auf ihren Gespannen zu verschönen, wären
die Vasenmaler Sophilos und Klitias oder der Schöpfer ihres Vor-
bildes schwerlich verfallen, hätte ihnen nicht das altgewohnte Motiv
der Wagenfahrt die Lösung so nahegelegt; aber auch hier wird
bloß durch das Mittel der Namensbeischriften und eine bescheidene
Anwendung von Götterattributen der Besonderheit des Vorwurfes
Rechnung getragen.
So können wir immer wieder verfolgen, wie sich, allmählich
und manchmal ganz unauffällig, der Sinn in das schablonenhaft
sich wiederholende Leben und Treiben hineinschiebt. Auf der
Kanne von Ägina2 hält sich die Flucht des Odysseus und seiner
Leute aus der Höhle des Polyphem an das überkommene Schema
der hintereinanderschreitenden Tiere; und dieses gewohnte Muster
hat dem Maler wohl überhaupt den Einfall suggeriert, unter den
Tierleibern die Männerkörper festzubinden. Nun klingt es plötzlich
,,es war einmal“, das Erzählen kommt in Fluß3. In ähnlicher Weise
vollzieht sich das Erwachen der Sagenillustration nun so oft. Die
auf den modernen Beschauer fast wie ein Ulk wirkende Blendung
des Kyklopen auf der Aristonothosvase4, wo sich die Braven an
dem wagerecht gehaltenen Pfahl aufreihen, nicht anders als die
Sieben Schwaben an ihrem Spieß, hat jenen Eilmarsch in (schein-
barer) Einerkolonne, aber mit kreuzweisem Überschneiden der
Füße zur Voraussetzung, den wir von Kampf bildern der Frühzeit
zur Genüge kennen. Mit der Schilderung des Vorgangs im Epos
verträgt sich die Art, wie hier der Unhold um sein Augenlicht ge-
1 Karo, 26. Hall W. Pr. 1928, 10ff. Tafel.
2 AM. 22, 1897 Taf. 8; Buschor, Vasenmalerei Abb. 28; vgl. Franz
Müller, Odyssee-Illustr. 25f.
3 „Dieser Tierfries ist nicht mehr Selbstzweck: durch die an sie gehäng-
ten Menschen werden die ornamentalen Widder zu mythischen Widdern, zu
den Widdern der Odyssee.“ Buschor a. O. 45.
4 Winter, KiB. 117, 12; Pfuhl, Abb. 65; Müller 2f.
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ation verlangt wird und die einzig sinngemäße und zweckmäßige
Lösung darstellt, wo alle Personen das gleiche tun und sich demsel-
ben Ziele zubewegen. Also ein Zug, ein Marsch von Kriegern etwa,
ist das Primäre, und erst in einem späteren Stadium der Entwick-
lung verwandelt sich dieser dekorative Figurenfries, und zwar ein-
fach dank den beigeschriebenen Namen, in den Auszug des Menelaos
und seiner Genossen zum trojanischen Krieg1. Auf den Gedanken,
die Hochzeit von Peleus und Thetis durch den feierlichen Gratu-
lationszug der Olympier auf ihren Gespannen zu verschönen, wären
die Vasenmaler Sophilos und Klitias oder der Schöpfer ihres Vor-
bildes schwerlich verfallen, hätte ihnen nicht das altgewohnte Motiv
der Wagenfahrt die Lösung so nahegelegt; aber auch hier wird
bloß durch das Mittel der Namensbeischriften und eine bescheidene
Anwendung von Götterattributen der Besonderheit des Vorwurfes
Rechnung getragen.
So können wir immer wieder verfolgen, wie sich, allmählich
und manchmal ganz unauffällig, der Sinn in das schablonenhaft
sich wiederholende Leben und Treiben hineinschiebt. Auf der
Kanne von Ägina2 hält sich die Flucht des Odysseus und seiner
Leute aus der Höhle des Polyphem an das überkommene Schema
der hintereinanderschreitenden Tiere; und dieses gewohnte Muster
hat dem Maler wohl überhaupt den Einfall suggeriert, unter den
Tierleibern die Männerkörper festzubinden. Nun klingt es plötzlich
,,es war einmal“, das Erzählen kommt in Fluß3. In ähnlicher Weise
vollzieht sich das Erwachen der Sagenillustration nun so oft. Die
auf den modernen Beschauer fast wie ein Ulk wirkende Blendung
des Kyklopen auf der Aristonothosvase4, wo sich die Braven an
dem wagerecht gehaltenen Pfahl aufreihen, nicht anders als die
Sieben Schwaben an ihrem Spieß, hat jenen Eilmarsch in (schein-
barer) Einerkolonne, aber mit kreuzweisem Überschneiden der
Füße zur Voraussetzung, den wir von Kampf bildern der Frühzeit
zur Genüge kennen. Mit der Schilderung des Vorgangs im Epos
verträgt sich die Art, wie hier der Unhold um sein Augenlicht ge-
1 Karo, 26. Hall W. Pr. 1928, 10ff. Tafel.
2 AM. 22, 1897 Taf. 8; Buschor, Vasenmalerei Abb. 28; vgl. Franz
Müller, Odyssee-Illustr. 25f.
3 „Dieser Tierfries ist nicht mehr Selbstzweck: durch die an sie gehäng-
ten Menschen werden die ornamentalen Widder zu mythischen Widdern, zu
den Widdern der Odyssee.“ Buschor a. O. 45.
4 Winter, KiB. 117, 12; Pfuhl, Abb. 65; Müller 2f.