Neue Darstellungen griechischer Sagen: II. Picenum.
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bloß zur Füllung der Spirale. Es ist aber klar, daß das Formen-
ganze eben jenem Dekorationssystem entlehnt sein muß, das sich
im Relief der Panzerstatue so schwungvoll auswirkt. Noch deut-
licher vielleicht verrät diesen Zusammenhang der Fries des Grab-
cippus1 mit seinem bewegten Rankengewinde gleicher Stilisierung;
entwickelt es sich doch, genau so wie die Harnischzier, aus einem
breitentfalteten Akanthoskelch. So gewiß also das Gewächs als
solches dem Roden der römischen Reichskunst entsproßt ist: der
symbolische Gehalt dieses Grabmalschmuckes nicht nur, auch sein
formaler Ausdruck sind viel älteren Datums, und beides zusammen
ist griechischen Ursprungs2. So haust hier im Keltenland, im halb-
barbarischen Norden, an der Stätte des Todes noch immer jener
seltsame Kauz, den wir schon bei den Grabhügeln attischer Fried-
höfe Wache haltend angetroffen haben. Und eben von dorther kam,
wenn uns nicht alles täuscht, auch der Vogel geflogen, der sich auf
dem Grabstein an der Küste der Adria seßhaft niedergelassen hat.
Die Ähnlichkeit der ganzen Erscheinung mit den griechischen Bil-
dern ist doch wohl zu groß, um zufällig zu sein.
Ein Zufall aber ist es allerdings, der uns aus dem einstmals
sicher stattlichen Schwarm von Nachtgespenstern die paar verirrten
Exemplare, an weit entfernten Stellen der alten Welt, und zudem
durch gewaltigen zeitlichen Abstand getrennt, in die Hände spielte.
In Wirklichkeit muß es viel mehr solcher Käuze geben, und bei ge-
duldigem Suchen wird man sie auch finden. Für eine systematische
Sammlung dieses Materials ist hier nicht der Ort; nur auf ein Bei-
spiel sei noch hingewiesen. Als chthonische Symbole möchte ich
jedenfalls die Tiere ansprechen, die auf der „kyrenäischen“ Schale
im Vatikan3 die figürliche Gruppe beiderseits flankieren: die große
Schlange, sich emporringelnd wie auf den gleichfalls spartanischen
Heroenreliefs, und ihr gegenüber den Vogel, der auf einer kannelier-
ten Säule hockt. Letztere dient zugleich als Marterpfahl; an ihren
Schaft ist mit vielfach verschlungenen Riemen der arme Schächer
angebunden, dem ein gewaltiger Adler soeben die Brust zerhackt.
1 Über der Inschrift und den seitlichen Pilastern, auf unserem Ausschnitt
nicht mehr sichtbar; vgl. die Seite 15 Anm. 6 genannten Abbildungen.
2 In gewissem Sinn hat also Jacobsthal recht, wenn er a. O. von einem
„wieder ganz ins Archaische zurückfallenden Palmettenbaum“ spricht.
3 Helbig3 I 327 Nr. 534. Wiener Yorlegebl. Serie D Taf. 9, 7; Bau-
meister II 1411 Abb. 1567; Waser, Roscher V'1052; Albizzati, Vasi ant. del
Vatic. Taf. 17 Nr. 220; Jacobsthal, Ornamente 89.
2 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., pbil.-bist. Kl. 1936/37. 1. Abh.
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bloß zur Füllung der Spirale. Es ist aber klar, daß das Formen-
ganze eben jenem Dekorationssystem entlehnt sein muß, das sich
im Relief der Panzerstatue so schwungvoll auswirkt. Noch deut-
licher vielleicht verrät diesen Zusammenhang der Fries des Grab-
cippus1 mit seinem bewegten Rankengewinde gleicher Stilisierung;
entwickelt es sich doch, genau so wie die Harnischzier, aus einem
breitentfalteten Akanthoskelch. So gewiß also das Gewächs als
solches dem Roden der römischen Reichskunst entsproßt ist: der
symbolische Gehalt dieses Grabmalschmuckes nicht nur, auch sein
formaler Ausdruck sind viel älteren Datums, und beides zusammen
ist griechischen Ursprungs2. So haust hier im Keltenland, im halb-
barbarischen Norden, an der Stätte des Todes noch immer jener
seltsame Kauz, den wir schon bei den Grabhügeln attischer Fried-
höfe Wache haltend angetroffen haben. Und eben von dorther kam,
wenn uns nicht alles täuscht, auch der Vogel geflogen, der sich auf
dem Grabstein an der Küste der Adria seßhaft niedergelassen hat.
Die Ähnlichkeit der ganzen Erscheinung mit den griechischen Bil-
dern ist doch wohl zu groß, um zufällig zu sein.
Ein Zufall aber ist es allerdings, der uns aus dem einstmals
sicher stattlichen Schwarm von Nachtgespenstern die paar verirrten
Exemplare, an weit entfernten Stellen der alten Welt, und zudem
durch gewaltigen zeitlichen Abstand getrennt, in die Hände spielte.
In Wirklichkeit muß es viel mehr solcher Käuze geben, und bei ge-
duldigem Suchen wird man sie auch finden. Für eine systematische
Sammlung dieses Materials ist hier nicht der Ort; nur auf ein Bei-
spiel sei noch hingewiesen. Als chthonische Symbole möchte ich
jedenfalls die Tiere ansprechen, die auf der „kyrenäischen“ Schale
im Vatikan3 die figürliche Gruppe beiderseits flankieren: die große
Schlange, sich emporringelnd wie auf den gleichfalls spartanischen
Heroenreliefs, und ihr gegenüber den Vogel, der auf einer kannelier-
ten Säule hockt. Letztere dient zugleich als Marterpfahl; an ihren
Schaft ist mit vielfach verschlungenen Riemen der arme Schächer
angebunden, dem ein gewaltiger Adler soeben die Brust zerhackt.
1 Über der Inschrift und den seitlichen Pilastern, auf unserem Ausschnitt
nicht mehr sichtbar; vgl. die Seite 15 Anm. 6 genannten Abbildungen.
2 In gewissem Sinn hat also Jacobsthal recht, wenn er a. O. von einem
„wieder ganz ins Archaische zurückfallenden Palmettenbaum“ spricht.
3 Helbig3 I 327 Nr. 534. Wiener Yorlegebl. Serie D Taf. 9, 7; Bau-
meister II 1411 Abb. 1567; Waser, Roscher V'1052; Albizzati, Vasi ant. del
Vatic. Taf. 17 Nr. 220; Jacobsthal, Ornamente 89.
2 Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., pbil.-bist. Kl. 1936/37. 1. Abh.