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Arnold von Saus:
Auf diesen gefährlichen Räuber der Meerestiefe hat man die
Schilderung im zwölften Buche der Odyssee (v. 86ft.) des öfteren
bezogen; im Altertum schon Aristarch, der die zwölf πόδες άωροι
einleuchtend als Polypenarme verstehen wollte. Sie ist seltsam ver-
worren, nicht „gesehen“, sehr verschieden von der sinnlichen An-
schaulichkeit, wie sie etwa dem wundervollen Gleichnis vom Poly-
pen ε 432ff. eignet. Daher hat auch die bildende Kunst mit diesem
Abenteuer lange Zeit nichts anzufangen gewußt: in der archaischen
Periode fehlen Illustrationen der Skyllageschichte bekanntlich
ganz. Und als sich die Kunst schließlich doch daran wagte, emanzi-
pierte sie sich kurzerhand von der Beschreibung Homers, ging ihre
eigenen Wege, erfand etwas Neues, ersetzte jenes unvorstellbare
Monstrum durch ein Phantasiegeschöpf, das gar nicht den Anspruch
erheben soll, das Untier der dichterischen Quelle zu verkörpern1.
Indessen hat es in der Tat den Anschein, als dürfte dieses — oder
vielmehr das, was dahinter steckt — nichts anderes als der unheim-
liche, besonders den Schwammfischern verhaßte Ivephalopode
sein, der ja zu allen Zeiten Anlaß zu den blühendsten Seemanns-
mären gab2. Ebenso wie die Hydra letzten Endes auf das Vorbild
Ausdruck der Angst und des Entsetzens verstehen und für das Emporwerfen
der Arme auf das Beispiel der Frangoisvase (FR. 13; Buschor, Vasenmalerei
2i27 Abb. 91) verweisen. Denn dort bedeutet diese Gebärde im Gegenteil
jubelnde Freude; s. Zschietzschmann, Jdl. 46, 1931, 54 Anm. 1 mit Hinweis
auf Od. σ 99. Hier dagegen kann, wie oben S. 36 bemerkt, nur eine Hantierung
mit dem Segel gemeint sein.
1 Zur Geschichte der Skylladarstellung' s. F. Müller, Die antiken
Odyssee-Illustrationen 118—128, 145, 148; O. Waser, Skylla u. Charybdis
in der Literatur u. Kunst der Griechen u. Römer; derselbe, Roscher IV1035ff.;
J. Schmidt, RE. 111 A 647ff. und die dort angeführte Literatur; über den
Typus der klassischen Zeit auch Jacobsthal, Mel. Reliefs 54ff., 188ff. Taf.
34 — 36. Zur Gleichsetzung der homerischen Skylla mit dem Kraken vgl. Steu-
ding, Fleckeisens Jahrb. 151, 1895, 185ff.; Tümpel, Berliner Phil. Wochen-
schr. 15, 1895, 994ff. Ablehnend, ohne Angabe von Gründen, Finsler, Homer
2II. 82. Gegen die leichtfertige Exegese von Mülder, Philologus 65, 1906,
223ff., der das Seeungeheuer der ursprünglichen Fassung überhaupt abspre-
chen, einer späten Bearbeitung zuschreiben und es so „aufs Trockene gesetzt“
haben wollte, hat sich O. Crusius, ebenda 320 mit berechtigter Schärfe ge-
wandt.
2 „Von diesen wirbellosen Meerestieren wurde erzählt, sie hätten mit
ihren ungeheuer langen Fangarmen nicht nur Matrosen aus der Takelage
heruntergeholt, sondern ganze Schiffe unter Wasser gezogen, und das wurde
bildlich verewigt. In schreckenerregenden Zeichnungen, die dem gruselfreudi-
gen Zeitgenossen wohl eine Gänsehaut den Rücken hinunterlaufen lassen moch-
Arnold von Saus:
Auf diesen gefährlichen Räuber der Meerestiefe hat man die
Schilderung im zwölften Buche der Odyssee (v. 86ft.) des öfteren
bezogen; im Altertum schon Aristarch, der die zwölf πόδες άωροι
einleuchtend als Polypenarme verstehen wollte. Sie ist seltsam ver-
worren, nicht „gesehen“, sehr verschieden von der sinnlichen An-
schaulichkeit, wie sie etwa dem wundervollen Gleichnis vom Poly-
pen ε 432ff. eignet. Daher hat auch die bildende Kunst mit diesem
Abenteuer lange Zeit nichts anzufangen gewußt: in der archaischen
Periode fehlen Illustrationen der Skyllageschichte bekanntlich
ganz. Und als sich die Kunst schließlich doch daran wagte, emanzi-
pierte sie sich kurzerhand von der Beschreibung Homers, ging ihre
eigenen Wege, erfand etwas Neues, ersetzte jenes unvorstellbare
Monstrum durch ein Phantasiegeschöpf, das gar nicht den Anspruch
erheben soll, das Untier der dichterischen Quelle zu verkörpern1.
Indessen hat es in der Tat den Anschein, als dürfte dieses — oder
vielmehr das, was dahinter steckt — nichts anderes als der unheim-
liche, besonders den Schwammfischern verhaßte Ivephalopode
sein, der ja zu allen Zeiten Anlaß zu den blühendsten Seemanns-
mären gab2. Ebenso wie die Hydra letzten Endes auf das Vorbild
Ausdruck der Angst und des Entsetzens verstehen und für das Emporwerfen
der Arme auf das Beispiel der Frangoisvase (FR. 13; Buschor, Vasenmalerei
2i27 Abb. 91) verweisen. Denn dort bedeutet diese Gebärde im Gegenteil
jubelnde Freude; s. Zschietzschmann, Jdl. 46, 1931, 54 Anm. 1 mit Hinweis
auf Od. σ 99. Hier dagegen kann, wie oben S. 36 bemerkt, nur eine Hantierung
mit dem Segel gemeint sein.
1 Zur Geschichte der Skylladarstellung' s. F. Müller, Die antiken
Odyssee-Illustrationen 118—128, 145, 148; O. Waser, Skylla u. Charybdis
in der Literatur u. Kunst der Griechen u. Römer; derselbe, Roscher IV1035ff.;
J. Schmidt, RE. 111 A 647ff. und die dort angeführte Literatur; über den
Typus der klassischen Zeit auch Jacobsthal, Mel. Reliefs 54ff., 188ff. Taf.
34 — 36. Zur Gleichsetzung der homerischen Skylla mit dem Kraken vgl. Steu-
ding, Fleckeisens Jahrb. 151, 1895, 185ff.; Tümpel, Berliner Phil. Wochen-
schr. 15, 1895, 994ff. Ablehnend, ohne Angabe von Gründen, Finsler, Homer
2II. 82. Gegen die leichtfertige Exegese von Mülder, Philologus 65, 1906,
223ff., der das Seeungeheuer der ursprünglichen Fassung überhaupt abspre-
chen, einer späten Bearbeitung zuschreiben und es so „aufs Trockene gesetzt“
haben wollte, hat sich O. Crusius, ebenda 320 mit berechtigter Schärfe ge-
wandt.
2 „Von diesen wirbellosen Meerestieren wurde erzählt, sie hätten mit
ihren ungeheuer langen Fangarmen nicht nur Matrosen aus der Takelage
heruntergeholt, sondern ganze Schiffe unter Wasser gezogen, und das wurde
bildlich verewigt. In schreckenerregenden Zeichnungen, die dem gruselfreudi-
gen Zeitgenossen wohl eine Gänsehaut den Rücken hinunterlaufen lassen moch-