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Salis, Arnold [Hrsg.]; Salis, Arnold [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1936/37, 1. Abhandlung): Neue Darstellungen griechischer Sagen, 2: Picenum — Heidelberg, 1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.41988#0056
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Arnold von Saus:

Erklärung des Bildes hat alle erdenklichen Phasen der Interpre-
tationskunst durchmachen müssen: von der mythologischen, die
nicht fehlen durfte1, zur Annahme eines Volksmärchens, einer
Kulthandlung, eines dorischen Possenspiels. Das erlösende Wort
hat doch wohl Greifenhagen gesprochen: es ist wirklich bloß eine
Genreszene, zwei üble Gesellen einer Töpferwerkstatt werden zu
Paaren getrieben, liier genau genommen zu einem Paar. Aber die
Gestikulation der Hände läßt darauf schließen, daß das gemein-
same Mißgeschick und die so enge äußere Verbundenheit sie inner-
lich einander keineswegs näher gebracht haben, der Zank geht wei-
ter. Sollte das Bild der Novilarastele ähnlich zu verstehen sein ?
Auf alle Fälle ist die Gruppe derjenigen auf der korinthischen Vase
merkwürdig verwandt.
Die Gefesselten der unteren Gruppe dagegen stehen oder
schreiten hintereinander, und die Gebärde der ausgestreckten Arme
wird man als reuiges oder verzweifeltes Flehen aufzufassen haben.
Es ist jener rührende Bittgestus, wie ihn auch die primitiven eiser-
nen Votivfiguren von katholischen Wallfahrtsorten in Süddeutsch-
land und im Salzburgischen zeigen, die von F. Boehm so lichtvoll
behandelt und in einen weiten kulturgeschichtlichen Zusammen-
hang eingefügt worden sind2. Zu einem großen Teil handelt es sich
um Bittgeschenke, dem hl. Leonhard, dem ,,bayrischen Herrgott“,
als dem Schutzpatron der Gefangenen dargebracht. Auch diese er-
barmenswürdigen Häftlinge sind in der Regel — einer, der mit be-
sonderer Inbrunst betet, hockt gefesselt im Block -— aufrecht
stehend dargestellt3. Sie gleichen nach Haltung und Aussehen den
Gefangenen des Novilara-Steins bis aufs Haar (das allen fehlt).
Wohl denkbar, daß diese neuzeitlichen Beispiele in der simpeln
Dürftigkeit ihrer Erscheinung auf manche Beschauer wie Karika-
turen wirken, und doch sind sie bitter ernst gemeint. Das dürfte
auch vor einer Auslegung der Picenter Stele warnen, die ihrer naiven
1 Nur der Kuriosität halber: Dümmler vermutete hier eine Illustration
der Sage von Trophonios und Agamedes, die nach ihrem Einbruch in das von
ihnen erbaute Schatzhaus des Hyrieus alle beide in eine Falle geraten seien —
frei nach Paus. IX 37, 3; vgl. IIitzig-Blumner V 503 (ohne Kenntnis der
DüMMLERSchen Hypothese).
2 Sitzung d. Archäol. Gesellseh. Berlin v. 30. Mai 1933, s. AA. 48, 1933,
3 84 ff.
3 a. O. 393 Abb. 8—11; ferner R. Kriss, Volkskundliches aus altbayri-
schen Gnadenstätten 47 Abb. 49 a. Auch Ketten werden dem Heiligen Gefange-
nenbefreier geopfert; Kriss, Religiöse Volkskunst Altbayerns 115.
 
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