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Salis, Arnold [Hrsg.]; Salis, Arnold [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1936/37, 1. Abhandlung): Neue Darstellungen griechischer Sagen, 2: Picenum — Heidelberg, 1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.41988#0066
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Arnold von Salis:

Was uns an der ganzen Geschichte vornehmlich interessiert
ist die Art, wie auf der Stele von Fano die Folterung in Szene gesetzt
wird. Sonderbarer Werdegang eines Bildmotivs! Über die Ent-
stehung eines berühmten Prometheusgemäldes lesen wir bei Seneca,
Controv. X 34: Parrhasius, pictor Atheniensis, cum Philippus
captivos Olynthios venderet, emit unum ex iis senem. perduxit
Athenas, torsit et ad exemplum eins pinxil Promethea. Olynthius
in tormentis periit. ille tabulam in templo Minervae posuit1. Natür-
lich ist die Anekdote frei erfunden, sie wäre schon historisch un-
möglich, denn die Einnahme von Olynth durch Philipp fällt nicht
in die Lebenszeit des Parrhasios. Man hat mit Fug an die Legende
erinnert, wonach dem Michelangelo, als er seinen Christus für die
Neapler Karthause schuf, ein Mensch gekreuzigt worden sein soll;
auch an Chamissos Gedicht ,,Das Crucifix“, in dem dasselbe Thema
variiert wird. Aber nehmen wir jene Erzählung, die jedenfalls den
besonders krassen und lebensnahen Ausdruck physischer und seeli-
seher Qual in dem Bilde des Parrhasios zur Voraussetzung hat,
einen Augenblick für wahr, so hätten wir auf unserer Stele den um-
gekehrten Prozeß: wenn dort der Maler seinen gefesselten Titanen
nach dem lebenden Modell eines gemarterten Sklaven gestaltet hat,
wären hier aus dem Prometheus am Marterpfahl die Leiden eines
Sklaven geworden! Denn an unserer Deutung, die auf dem Fano-
Stein die Vorbereitung einer Tortur erblickt, möchten wir uns nicht
irre machen lassen. Und gedacht ist die Szene, ob man in ihr nun
lediglich den Ausfluß künstlerischer Einbildung, einen bloß sym-
bolischen Akt sehen will, oder das Bild einer tatsächlich geübten
„Volksfesthinrichtung2“ — wenn auch in „idealisierter“ Auf-
machung, wie die Verwendung des Löwen zu beweisen scheint —-,
jedenfalls als Blutopfer für den Toten. Die Zerstückelung des Leich-
nams jedoch, die uns die Stele Abb. 2 vor Augen führt, das Ab-
hacken von Kopf und Gliedmaßen ist mehr und etwas anderes als
Verunglimpfung des erledigten Gegners, oder nur Lust an brutaler
Grausamkeit; auch das bedeutet einen schuldigen Blutzoll an ge-
fürchtete Mächte und ist insofern allerdings dem eigentlichen Men-
schenopfer wesensverwandt3.
1 Overbeck, Schriftquellen 323 Nr. 1703; A. Reinach, Recueil Milliet
I 230 Nr. 272 u. 231 Anm. 2. Dazu Brunn, Geschichte d. gr. Künstler II 98;
Milchhoefer, 42. BWPr. 1882, 20; Bapp bei Roscher III 3097.
2 Mommsen, a. O. 925.
3 Über das Köpfen bei Opferhandlungen Furtwängler, Gemmen III
 
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